Der „Viking Trail“ ist nicht nur ein klangvoller für eine sehr lange Küstenstraße auf Neufundland, nein, er führt uns irgendwann tatsächlich nach L’Anse aux Meadows, einer Wikingersiedlung am Ende der Welt. Zwei Inseln ragen in der Ferne aus dem Meer, schäumende Wellen rollen auf den Strand der geschützten Bucht, an dessen Ufer sich die grasbewachsenen Dächer der Langhäuser gegen den Hang ducken. Die Sonne taucht die Szenerie in ein goldenes Licht und wir sind fasziniert von der Schönheit dieses Ortes.
Zudem haben wir nun ganz sicher das Gefühl, durch ein Wurmloch gefahren und in Grönland angekommen zu sein. Die grauen Felsen werden von Kriechweiden und Weißmoos überzogen, Krähenbeeren und Cranberries wachsen in großer Zahl auf dem kargen Boden, ja, sogar die Luft riecht genauso frisch wie in Grönland. Zudem finden wir an geschützten Stellen Kajaasat, ein Kraut, das gegen Erkältungsbeschwerden und Fieber hilft und das wir ebenfalls nur aus Grönland kennen. Leif Erikson wird sich also gleich heimisch gefühlt haben, als er hier anlegte und sein Langhaus errichtete.
Den Wikinger Bjarni Herjolfson hatte im Jahr 986 ein Sturm vom Kurs abgebracht und er stieß dabei im Osten auf Land. Bei seiner Heimkehr erzählte er von seiner Entdeckung und Leif, der Sohn von Erik dem Roten wurde hellhörig. Um das Jahr 1000 setzte Leif von Grönland aus die Segel, um das Land im Osten mit eigenen Augen zu sehen. Er wählte seinen Siedlungsplatz mit Bedacht: Durch die beiden vorgelagerten Inseln war L’Anse aux Meadows leicht wieder zu finden, denn Leif wollte, dass ihm viele folgen, wie einst seinem Vater nach Grönland. Leif überwinterte in seinem Vinland, wie er das neue Land klangvoll nannte. Doch es gab nur wenige, die seinem Beispiel folgten und die gefährliche Reise über das Meer wagten. Vielleicht waren es auch die einheimischen Beothuk, oder Inuit, die eine dauerhafte Besiedlung vereitelten. Doch immerhin hatte Leif Erikson damit Amerika entdeckt. Denn er war der erste Europäer, der einen Fuß auf amerikanischen Boden setzte und zwar einige Jahrhunderte vor Columbus.
1000 Jahre später sind nur die Ruinen seiner Behausungen und einige wenige Funde geblieben und die Rekonstruktion der Häuser erinnert an das Leben der Nordmänner. In den Häusern ist es unfassbar gemütlich: Felle liegen auf den Sitzbänken, ein Feuer brennt, Seile, Tongefäße und Holzschalen stehen auf dem Regal. Wir fühlen uns dort auf jeden Fall gleich zu Hause und gesellen uns zu den Kanadischen Wikingern. Seltsamer Weise sprechen sie sehr wohl unsere Sprache. Denn wir musizieren gemeinsam, machen Handwerk und ich zeige den Damen den „Oslo-Stich“ beim Nadelbinden, während sie mir den Neufundländischen Twist-Stich beibringen. Dabei sitzen wir gemeinsam am Feuer, tauschen Erfahrungen und Erlebnisse aus, wie einst Leif und Bjarni.
Am Ende schenken uns unsere Gastgeber selbstgeschmiedete Nägel und zwei Glasperlen und wir kehren glücklich zu unserem Camper und in die Neuzeit zurück. Doch auf dem Rückweg bleibe ich noch einmal stehen und lasse meinen Blick sehnsuchtsvoll über die schöne Bucht schweifen – hätte Leif mich gefragt, ich wäre seinem Ruf sofort gefolgt…
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Oh wie schön! Dein Bericht hat mich gerade tief bewegt und zu Tränen gerührt. Wie schön, dass ihr dort Gleichgesinnte gefunden habt. Ich bekomme gerade Heimweh nach Island und Lust unbedingt auch mal nach Grönland zu reisen. Leider sind alle Reisen bei mir bis ins nächste Jahr vertagt. 🙁 Daher reise ich gerne in Gedanken mit euch mit und freu mich schon über weitere Geschichten. Ihr wisst ja, mein Herz schlägt auch für den Norden und ich werde Neufundland auf meine Reiseliste setzen. 😉
Neufundland ist auf jeden Fall etwas für Dich! Wir hätten noch viel länger unterwegs sein können, es gab noch so viel zu entdecken!
Alles Liebe, Sonja