Anderstouren

Gegrillter Käfer mit Tomatensauce

Die dritte, leere Wasserflasche fliegt nach hinten. Meine Güte, ist das heiß. Dabei zeigt das Thermometer „nur“ 39 Grad. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir die Hitze einfach nicht mehr gewöhnt sind. Durch das Fenster weht nur noch warmer Wind zu uns herein, während wir uns über die kleine Schotterpiste weiter ins Landesinnere vorarbeiten. Dabei ziehen wir eine Staubwolke hinter uns her und die Hitze flimmert über dem Track.

Vierte Wasserflasche. Okay, jetzt ist es Zeit für eine Pause. Das trifft sich gut, denn wir erreichen Cameron Corner. An dieser Ecke grenzen die Staaten New South Wales, South Australia und Queensland aneinander. Man könnte also zur gleichen Zeit mit je einem Fuß in einem anderen Land stehen, wenn wir denn drei Füße hätten. Da müssen wir natürlich anhalten. Das Dreiländereck wird durch eine schlichte Metallsäule markiert, in die die Namen der drei Staaten eingraviert sind. Sie wird von Ketten an Holzpflöcken umringt wie von Girlanden auf einer Geburtstagsparty. Ansonsten ist dieser Ort eher schmucklos, ein vertrockneter Baum, die Sonne brennt und hunderte von Fliegen stürzen sich auf uns. Klar, sie sind auch durstig.

Wir flüchten also hinter die Fliegengitter der Veranda des einsamen Roadhouses, dem einzigen Gebäude hier draußen, in dem man tanken, etwas essen und zur Not auch übernachten könnte. Den Eingang zum „Cameron Corner Store“ bildet eine schlichte Metalltür, an der natürlich auch ein Fliegengitter angebracht ist und die in meinen Augen vergittert und verschlossen aussieht. Doch die Klinke lässt sich hinunter drücken und ich betrete die Gaststube. Sofort schlägt mir der Geruch von altem Fett, Schweiß und einer Klimaanalage entgegen, die schon lange nicht mehr gewartet wurde. Außerdem ist es schrecklich düster und nach dem gleißenden Sonnenlicht kann ich erst einmal nichts erkennen. Ich nehme die Sonnenbrille ab, doch daran liegt es nicht. Hier drinnen ist es einfach düster.

Der ganze Raum ist mit dunklem Holz vertäfelt und durch die kleinen Fenster dringt nur wenig Licht. An den Wänden und an der Decke hängen hunderte von Kappen, die frühere Besucher hier zurückgelassen haben. Auf dem alten Röhrenfernseher in der Ecke läuft eine Folge „Baywatch“ aus den 90iger Jahren. An einem schlichten Holztisch sitzen drei Gestalten, alle drei ungepflegt, die mich überrascht, beinahe ein wenig empört mustern. Störe ich etwa bei einer wichtigen Besprechung, oder rechnen sie schon gar nicht mehr mit einem Gast? Ich frage mich in der Tat, wer sich in dieses Roadhouse verirrt, denn es liegt weit abseits aller größeren Tracks, die durch das Outback führen. Wer ist zudem bereit, 110 Dollar auf den Tisch zu legen, um hier zu übernachten, oder freiwillig etwas zu essen zu bestellen? Beim Anblick der Küche mag ich mir gar nicht vorstellen, was hier alles auf dem Grill landet..

Ein älterer Mann mit grauen Locken erhebt sich schwerfällig, wischt sich seine Hände an dem fleckigen, weißen T-shirt ab und schlurft hinter den Tresen. Offensichtlich ist er der Wirt. Er würde gut in eine griechische Taverne, oder in irgendeine italienische Spilunke passen, schießt es mir durch den Kopf. Ich komme mit ihm ins Gespräch, erkundige mich nach den Tracks und nach dem Stand der Dinge in Birdsville. Ja, dort stünde noch alles unter Wasser, so seine knappe Antwort. Er ist nicht besonders gesprächig. Also wende ich mich der Tiefkühltruhe zu. Ich kann schließlich nicht einfach wieder gehen, ohne etwas zu kaufen. Oh je. Das Eis in dieser Truhe hat auch schon bessere Zeiten gesehen und wirkt ganz so, als sei es schon einige Male aufgetaut und dann wieder eingefroren worden. Ich suche zwei der weniger deformierten Exemplare heraus, lege dafür stolze 10 Dollar auf den Tresen und verabschiede mich. Meine Kappe halte ich dabei gut fest. Sie soll schließlich nicht an der Wand dieser düsteren Kneipe enden und eine Baywatch Folge nach der anderen anschauen müssen.

Der weitere Track führt uns über zig Dünen, deren Kämme wir zu queren haben. Ständig geht es steil nach oben, für einen erschreckenden Moment hat man dann das Gefühl in der Luft zu stehen und kurz darauf ins Nichts zu stürzen, bevor der weitere Weg untervermittelt hinter der Motorhaube auftaucht und es wieder harsch nach unten geht. Aber der Weg ist breit geschoben und trotz des ewigen Wellenritts kommen wir gut voran.

Nach 120 Kilometern erreichen wir dann den Strzelecki Track, dem wir weitere 120 Kilometer nach Süden folgen. Unser Ziel ist das Montecollina Bore, eine warme Quelle mitten im Nichts. Die heiße Quelle entpuppt sich dann als tiefblauer See, der von Schilf umstanden in mitten einer Dünenlandschaft liegt. Seine 39 Grad wirken auf Grund der Umgebungstemperatur eher angenehm kühl. Für ein Bad ist jedoch leider keine Zeit mehr, denn die Sonne sinkt bereits wieder. Das ist auch gut so, denn hier werden wir von Fliegen attackiert wie noch nie. Ganze Schwärme stürzen sich summend und brummend auf uns, setzen sich auf die Arme, den Rücken, sogar auf meiner Kamera hocken zwanzig Stück. Ohne Fliegennetz wären wir hier verloren und Christian bemerkt treffend, dass sie uns bei lebendigem Leib auffressen würden.

Also bauen wir erstmal nur das Lager auf und warten sehnsüchtig auf den Moment, an dem die Sonne gesunken ist und mit ihr auch die Fliegen schlafen gehen. Mit dem schwindenden Licht nimmt das Surren und Schwirren um unsere Köpfe dann auch tatsächlich ab und ich fange an zu kochen: Erbsen, Champignons und Tomatensauce brutzeln bald in der Pfanne. Gleich ist es herrlich ruhig, gleich können wir gemütlich im Mondschein sitzen und essen. Falsch gedacht. Die Fliegen lösen sich zwar pünktlich in Luft auf, doch die hereinbrechende Dunkelheit ruft riesige Käfer auf den Plan, die uns noch viel hartnäckiger und penetranter umschwirren als ihre kleinen Freunde zuvor. Ja, dieser 5cm große, fliegende Albtraum mit Fühlern ist richtig aggressiv. Während es zu Beginn nur ein Käfer ist, der sich in Christians Haare verirrt, sind es am Ende zwanzig, dreißig dieser Kerle. Hat der Erste etwa seine großen Brüder gerufen, weil wir nicht nett zu ihm waren? Eine brummende Invasion wirft sich im Sturzflug auf uns herab und fällt uns regelrecht an. Die Biester fliegen gezielt in die Achselhöhlen oder in den Nacken, um dann in das T-shirt zu kriechen. So hallen immer wieder spitze Schreie durch die Nacht. Sogar Christian, den Krabbelviecher normalerweise eigentlich nicht sonderlich aufregen, bringen diese vielbeinigen Flugmonster aus der Ruhe. Er springt auf, flucht, schlägt wild um sich und reißt sich schließlich das T-shirt über den Kopf, als wieder einer dieser Brummer über seinen Rücken krabbelt.

So, jetzt reicht es. Wir werden drinnen essen. In Windeseile packen wir alles zusammen und ich reiche Christian die Teller, das Besteck und schließlich auch das Essen durch das Fenster. Schließlich wollen wir nicht noch eines dieser Horrorkäfer im Wohnzimmer haben. Dann flüchte ich mich schlagend und fuchtelnd ebenfalls in die Kabine und atme erstmal tief durch, als die Tür hinter mir zufällt. Geschafft! Man, das wars’s dann also mit unserem schönen Abendessen im Mondschein.

Seufzend lassen wir uns auf dem Sofa nieder und ich fülle die Teller. Ich will gerade die erste Gabel nehmen, da sehe ich ihn: Einen Käfer, hübsch gegrillt, tranchiert und mit seinen Flügeln garniert, liegt er ganz oben in einem Nest aus Erbsen, Champignons und Tomatensauce. Das darf doch nicht wahr sein! Ist die Urlaubskasse inzwischen so leer, dass wir uns kein anderes Fleisch mehr leisten können, oder sind wir hier im Djungelcamp gelandet? Na dann, Bon appétit, oder willkommen im Outback! In dieser Nacht hören wir zum ersten Mal die Dingos heulen!

3 Kommentare

  1. Hallo ihr Zwei mit viel Interesse verfolgen wir euere Reise. Einfach toll ,doch ich würde
    es nicht riskieren. Wir wünschen euch weiterhin viel Glück und nicht ganz soviel Hitze. Alles Liebe Uschi und Erwin

    1. Wie schön, dass ihr „mit dabei“ seid. Der Zyklon hat für Abkühlung gesorgt. Heute sind es „nur“ 29 Grad. Dir, lieber Erwin, alles Gute nachträglich.

      LG Sonja und Christian

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