Anderstouren

Grenzerfahrung

Der Highway #86 zieht sich wie ein staubiges Band durch das Land gen Westen. Er wird gesäumt von trockenen Büschen und Saguarokakteen, die ihre Arme der unbarmherzigen Sonne entgegen strecken. Ansonsten gibt es hier draußen nicht viel. Hier wohnt niemand, oder besser hier möchte niemand wohnen. Denn die 86 verläuft parallel zur mexikanischen Grenze – immer mit einem hübschen Abstand. Dreimal passieren wir eine „Grenzkontrolle“ – mitten im Land. Dabei haben wir nicht einmal eine Staatengrenze, geschweige denn die Grenze nach Mexiko überschritten. Doch an uns haben die Beamten ohnehin kein Interesse. Sie überprüfen vor allem kleine, verbeulte Pkws, die maßlos überladen scheinen. Drogen? Illegale Einwanderer?

Die wenigen Ansiedlungen, die wir passieren sind staubig, die Häuser klein. Allerlei Unrat und zahlreiche Autowracks säumen den Hof. Eine Ortschaft trägt den skurilen Namen „Why“. Wahrscheinlich, weil sich die Einwohner jeden Tag fragen, warum in aller Welt sie in dieses Gott verlassene Nest gezogen sind? Offizielle Einrichtungen sind von Mauern und Stacheldraht umgeben. Auch der Parkplatz der Mitarbeiter liegt hinter einem hohen Zaun. Wir fühlen uns an Namibia erinnert. Die Menschen hier draußen sind auf jeden Fall sichtbar ärmer als der Durchschnittsamerikaner. Zum ersten Mal fühle ich mich an einer Tankstelle nicht ganz wohl. Gestalten in zerlumpter Kleidung und mit verfilzten Haaren lungern im Schatten eines Baumes herum. Einer von ihnen ist so betrunken, dass er sich an der Mauer entlang hangeln muss, um geradeaus gehen zu können. Per Lautsprecher erschallt eine Durchsage: Die Unbekannten sollen das Gelände sofort räumen. Ha, als ob die sich daran stören würden… Doch zu meiner Verblüffung raffen sie schleunigst ihr Zeug zusammen und verschwinden. Offenbar haben sie ansonsten drastische Konsequenzen zu befürchten.

Wir fahren zum Organ Pipes National Monument – ein wunderbarer Park, der den Orgelpfeifenkaktus und eine sagenhafte Wüstenlandschaft schützt. Allerdings liegt er auch nur 5 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt. Als ich unsere Reise dorthin plante und uns ein Plätzchen auf dem Campground buchte, habe ich mir nichts dabei gedacht. Doch nach eingehenderer Studie der Homepage des Nationalparkservice ist uns doch etwas mulmig zu Mute: Es wird ausdrücklich vor illegalen Grenzaktivitäten gewarnt. Sollte man dennoch auf Schmuggler stoßen, sollte man jeden Kontakt vermeiden und sich rasch in Sicherheit bringen. Offizielle Straßenschilder und Aushänge warnen vor Grenzkriminalität, Straßen in Grenznähe sind zum Schutz der Besucher gesperrt und die Grenzpolizei fährt Streife. Du liebe Güte!

Gegen Abend erreichen wir unseren Campingplatz. Christian dreht am Eingang noch eine Schleife, damit wir den Plan des Platzes studieren können und sofort stürzen ein Grenzbeamter und der Ranger aus dem Haus. Offenbar wurde unser Wendemanöver bereits als verdächtige Aktivität gewertet. Ich erkundige mich bei dem Ranger nach der Sicherheit des Campingplatzes. Der Mann schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wo auf der Welt wäre es schon sicher? Ihn hätte hier noch nie ein Mensch belästigt. Außerdem würde die Grenzpolizei die ganze Nacht den Platz abfahren. Na, ob mich das jetzt beruhigen soll? Denn dafür scheint es dann auch einen Grund zu geben. Doch der Ranger winkt ab. An meiner Stelle würde er sich viel mehr Sorgen um die „mountain lions“ machen. Wie bitte? Pumas? Ich bin einigermaßen irritiert. Der Gute nickt eifrig. Ja, sie kämen in der Nacht ganz nah den Zeltplatz heran und würden nach Futter suchen…

Obwohl die Lichter der mexikanischen Stadt erschreckend nah durch die hereinbrechende Dunkelheit funkeln und da draußen vielleicht auch noch ein hungriger Puma auf einen Leckerbissen wartet, verbringen wir einen wundervollen Abend in diesem schönen Park. Kakteen zieren unseren Platz, die sich dunkel vor der untergehenden Sonne abheben. Fremde Vogelstimmen verabschieden den Tag. Der Wind ist warm und nach und nach tauchen immer mehr Sterne am Nachthimmel auf. Wir sitzen noch lange draußen und genießen die Atmosphäre in der Wüste. Auch wenn es vielleicht etwas grenzwertig scheint, diese Erfahrung hätte ich auf keinen Fall missen wollen.


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