Anderstouren

Mit dem Schlauchboot ins Outback

„Ah, ihr wollt nach Australien. Nehmt ihr denn ein Schlauchboot mit?“ Diese Frage stellte mir mein Chef kurz vor unserer Abreise. Da es auf den trockensten Kontinent der Welt gehen sollte, war ich darüber einigermaßen überrascht. Noch mehr überraschte mich aber die Erklärung: „Nun, Australien säuft doch gerade ab.“ Ich hatte von der extremen Hitzewelle gehört, aber die Nachricht über eine Flutkatastrophe war noch nicht zu mir vorgedrungen. Meine Recherche im Internet ergab, dass es in der Gegend um Brisbane in der Tat Regenfälle wie seit Jahren nicht mehr gegeben hatte. Keller liefen voll, ganze Orte mussten evakuiert werden und die gefährlichen Salzwasserkrokodile, auch Saltis genannt, waren nun an Ampelkreuzungen und auf den Straßen der Städte zu finden. Schlimm genug. Trotzdem konnte ich meinen Chef beruhigen, denn für uns bestand keine Gefahr. Der Nordosten steht nämlich nicht auf unserem Reiseplan. Wir wollen doch vor allem ins Outback und dort gibt es bekanntlich eher wenig Wasser.

Zu Zeiten der frühen Erkundungstouren in das Landesinnere hielt sich allerdings ein hartnäckiges Gerücht, dass es im Outback einen riesigen Süsswassersee gäbe. In den 1830iger Jahren ließ der Entdecker Thomas Mitchell sogar ein großes und ziemlich schweres Boot in das heiße und staubige Nichts schleppen, um diesen See zu erkunden. Natürlich fand er ihn nicht. Heute wissen wir, dass es einen unterirdischen See im Outback gibt; die artesischen Quellen, die nur an einigen wenigen Stellen an die Oberfläche treten. Also, was sollen wir dort bitte mit einem Schlauchboot?

Umso verdutzter sind wir, als uns die Nachricht erreicht, dass Birdsville komplett unter Wasser steht. Birdsville ist ein winziger Ort gleich am Dreiländereck der Bundesstaaten Queensland, Northern Territory und South Australia und Tor zur trockensten und lebensfeindlichen Wüste der Welt, der Simpson Desert. Wie bitte? Dort soll es eine Flutwelle geben? Und ob: Der sonst ausgetrocknete Diamantina River hat einen Pegelstand von 8 Metern erreicht, die Straßen sind mit knapp 2 Meter hohem Wasser überspült, hunderte von Rindern sind ertrunken und Birdsville musste evakuiert werden. Wie ist das nur möglich? Die Erklärung ist genauso verblüffend, wie die Tatsache, dass sich in der Simpson Desert gerade Seen bilden und Blumen blühen. Die Wassermassen, die im Februar Brisbane und Co. zugesetzt haben, bahnen sich nun einen Weg ins Landesinnere und zwar zum tiefsten Punkt Australiens: Dem Lake Eyre. Der 17 Meter unter dem Meeresspiegel liegende Salzsee füllt sich auf diesem Weg mit Wasser, verwandelt die Wüste in ein blühendes Paradies und Vögel, vor allem Pelikane, fliegen aus dem ganzen Land dorthin. Es gibt ihn also, den riesigen Süsswassersee mitten im Outback, allerdings nur einmal in fünfzig Jahren.

Das ist doch verrückt. Ausgerechnet, wenn wir durch diese Ecke fahren wollen, sorgt ein Jahrhundertereignis dafür, dass wir das Schlauchboot doch ganz gut gebrauchen könnten. Mein Chef und Thomas Mitchell hatten also doch Recht! Birdsville ist zur Zeit von der Außenwelt abgeschnitten und das bedeutet nichts anderes, als dass sämtliche Zufahrtwege dorthin gesperrt sind. South Australia veröffentlicht täglich neue Nachrichten über die aktuelle Lage sowie eine Karte über die gesperrten Straßen und das sieht nicht gut aus. Den Innamincka- und den Birdsvilletrack hätten wir gerne befahren und so bleibt uns nichts anderes übrig, als umzudisponieren. Während sich die Pelikane schon auf ihr Stelldichein im Lake Eyre freuen, müssen wir einen neuen Weg ins Outback für uns ersinnen.

Von Melbourne fahren wir erst einmal 500 Kilometer nach Mildura, wo wir unsere Vorräte noch einmal großzügig auffüllen: Der Tank ist randvoll mit Diesel, wir haben 140 Liter Wasser an Bord, Lebensmittel für zehn Tage und Notfallvorräte für weitere zehn. Der Silver City Highway bringt uns weiter nach Norden und sobald wir die Grenze nach New South Wales passiert und die große Stadt hinter uns gelassen haben, sind wir völlig allein unterwegs. Ungefähr einmal pro Stunde kommt uns ein anderes Fahrzeug entgegen und der Fahrer hebt lässig den Zeigefinger. Man grüßt sich, wenn man sich in der Einöde begegnet. Denn die Landschaft wird mit jedem weiteren Kilometer gen Norden karger. Während in Victoria Felder, Zäune und alte Eukalpten die Straße säumten, finden wir nun nur noch einige trockene Büsche und rote Erde.

In dieser einsamen Gegend ist es auch gar kein Problem, ein Nachtlager zu finden, denn hier gibt es keine Zäune und keine Schilder „No Camping“ oder „Private Property“. Hier draußen ist niemand, außer ein paar grauen Kängurus, die überrascht davon springen, als wir vorbei rumpeln. Wir stellen unseren Allaq schließlich einfach zwischen ein paar trockene Eukalypten, hinter denen die Sonne glutrot untergeht. Der Feuerball taucht den Himmel in ein atemberaubendes Rot. Wir bauen unser Lager auf, holen die Stühlchen hervor und sehen dem Farbspiel fasziniert zu. Dazu gibt es eine Cola für mich und eine Cola mit Whiskey für Christian. Immerhin müssen wir feiern, dass wir nun wieder im Outback sind!

Leider haben das auch die Fliegen ziemlich rasch begriffen und stürzen sich begeistert auf den unerwarteten Besuch. Also ziehen wir sie wieder aus der hinteresten Ecke des Handschuhfachs hervor: Die verhassten und doch irgendwie geliebten Moskitonetze. Christian holt außerdem seine Low Whistle und spielt eine leise, nachdenkliche und doch auf ihre Art kraftvolle Melodie, die auf wundersame Weise zu diesem einsamen Flecken Erde passt. Er spielt, bis die Farben am Himmel langsam verblasst sind und dann halten wir beiden den Atem an. Denn jetzt kommen die besten fünf Minuten im Outback: Die Fliegen schweigen und ein magischer Moment der Stille entsteht, der nur durch das Zirpen der Grillen unterbrochen wird.

Oh ja, wir sind wieder zurück. Wir können es nicht genau erklären warum, aber irgendwie hat uns diese Gegend gepackt. Verrückterweise sind wir beide glücklich, wenn wir auf einem staubigen Stück Erde mitten im Nirgendwo sitzen, während die Nacht wie ein Tuch auf uns herabfällt.

4 Kommentare

  1. Wie, ihr seid ohne Boot unterwegs?! Hättet ihr mal auf unseren Chef gehört, da hättet ihr ohne Umweg auf dem Wasser ins Outback fahren können 😀

    1. Hm – wir braten hier gerade bei 39 Grad. Hier fallen im Jahr (!!) 170ml Wasser. Ich weiß nicht, ob wir da echt unser Böotchen hätten mitschleppen sollen…. Aber wer weiß, vielleicht hätte es uns den Umweg erspart 😉

  2. Ich lese fleißig mit und bin echt begeistert von Euren Reiseberichten. Die Bilder sind traumhaft… Bitte mehr davon. LG
    Franziska

    1. Liebe Franzi, das freut uns aber, dass Du auch zu unseren „treuen“ Lesern gehörst 😉 Es gibt bestimmt in ein paar Wochen Teil 3 der Australien Bilder. Alles Liebe, Sonja und Christian

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