Anderstouren

Namenlos sprachlos

Eine sandige Fahrspur zieht sich durch den Busch. Zum Teil stehen die niedrigen Bäume so nah am Track, dass sie einen engen Tunnel bilden, durch den unser Allaq mit eingeklappten Spiegeln gerade so durchpasst. Dann weitet sich die Ebene wieder, der Bewuchs wird karger. Spinifex hat den roten Sand erobert und bildet weite Kreise von zwei, oder drei Metern Durchmesser. Die außergewöhnliche Pflanze stirbt in der Mitte ab, wächst aber nach außen weiter. Die Kreise ergeben ein hübsches Muster auf dem roten Sand und erinnern an Schlossparks, in denen jeder Busch von einem Gärtner akribisch geschnitten wurde. Doch wahrscheinlich fahren wir gerade durch die Region Australiens, die von sorgfältig angelegten Parks am Weitesten entfernt ist. Auf einen Schulbus wartet man hier draußen ganz sicher vergeblich und in dieser Einöde gibt es absolut keinen Grund, Vorfahrt zu achten. Auch heute, am vierten Tag auf dem Anne Beadell Track begegnet uns niemand. Die entsprechenden Schilder kann also nur ein Scherzkeks irgendwo entwendet und hier aufgestellt haben.

Wie verlassen und vergessen diese Gegend wirklich ist, wird uns aber erst richtig klar, als wir durch den „Unnamed Conservation Park“ fahren. Ja, richtig gelesen. Er heißt tatsächlich so. Sogar auf den offiziellen Schildern wird er „namenloser Conservation Park“ genannt. Ja, wo gibt es denn so etwas? Wer macht sich denn bitte die Mühe, einen Conservation Park anzulegen, hat aber dann keine Lust mehr, einen Namen dafür auszusuchen? Ich versuche mir diesen Prozess vorzustellen. Muss über die Einrichtung eines Conservation Parks nicht beraten und entschieden, ein Komitee dafür eingerichtet werden? Werden dafür nicht Gelder beantragt, Schilder und Broschüren gedruckt? Vielleicht sind die Herren des Komitees sogar noch hier raus gefahren, wurden dann aber derart von der großen Leere gepackt, dass sie noch in wilder Hast die Grenzen abgesteckt haben, sich aber nicht mehr auf einen Namen einigen konnten. Möglicherweise gerieten sie sogar in Streit, diskutierten tagelang, bis ihnen das Wasser ausging und als dann immer noch kein weißer Rauch aus dem Kamin aufstieg, haben sie es schlicht bei „unnamed“ belassen. Kurious. Aber hat ein Park, der „namenloser Conservation Park“ heißt, dann nicht trotzdem einen Namen und ist insofern gar nicht mehr namenlos? Darüber könnte man wohl eine Weile philosophieren…

Die Einsamkeit hier draußen ist auf jeden Fall beeindruckend und erschreckend zugleich. Der Anne Beadell Highway eignet sich ganz hervorragend für die Durchführung eines Manager Trainings, oder für einen Selbsterfahrungskurs. Luxusprobleme, die oft selbst gemacht sind, relativieren sich hier vollkommen und gleichzeitig wird man auf eine harte Probe gestellt. Die Stille ist universell und führt uns in jeder Minute vor Augen, wie abgeschieden wir hier sind. Das macht uns in jeder Hinsicht verwundbarer, nackter als sonst. Es ist eine Herausforderung und eine intensive Lebenserfahrung, die uns viel Kraft kostet und die ich gleichzeitig nicht missen möchte.

Wann müssen wir zu Hause schon bangen, ob uns das Wasser ausgeht? Habt ihr je darüber nachgedacht, dass der Kühlschrank ausfallen könnte und dann all Eure Vorräte verderben? Selbst ein platter Reifen bringt uns nicht großartig aus der Ruhe, denn im Ernstfall ist die nächste Werkstatt ja nicht weit. Aber hier gibt es kein Netz und keinen doppelten Boden. Deswegen lauschen wir auf jeden Schlag, den die Reifen tun und beäugen Felsbrocken und Unebenheiten voller Misstrauen, wovon die Piste heute leider reichlich zu bieten hat. Das Wellblech schüttelt uns durch, im nächsten Moment stellen sich uns scharfe Felskanten in den Weg und dann ist der Track wieder komplett weggespült, sodass wir durch abenteuerliche Löcher klettern müssen, die uns in fiese Schräglagen bringen. Auch einige Dünen haben wir zu queren und einmal muss Christian einen umgestürzten Baum von der Fahrbahn ziehen. Bisher ist es auf jeden Fall der ungemütlichste Teil des Anne Beadell Highways und wir kriechen zum Teil mit 13 Kilometern pro Stunde voran.

Das wäre auch gar kein Problem, wenn uns unser sonst so zuverlässiger Hema Atlas nicht die winzige Kleinigkeit verschwiegen hätte, dass es eine Strecke von 50 Kilometern gibt, auf der ein striktes Campingverbot herrscht. Ganz im Gegenteil: Er preist sogar gleich im ersten Absatz der Wegbeschreibung an, dass man entlang des gesamten Tracks campen dürfe. Auch das Schild am Amfang des Anne Beadell Highways hatte ähnliches behauptet. Na, vielen Dank. Blöderweise erreichen wir den Beginn der „No Camping Zone“ gegen 16 Uhr. Es ist noch zu früh und viel zu heiß, um jetzt schon das Lager aufzuschlagen. Also fahren wir in den Bereich ein, der als „culturally sensitive“ beschrieben wird. Es ist ein heiliger Ort der Aborigines und das werden wir natürlich respektieren.

Trotzdem ist das ein ehrgeiziges Ziel. Denn 50 Kilometer können im schlechtesten Fall drei Stunden und mehr bedeuten. Dafür ist es dann eigentlich schon zu spät und die Zeit ist wieder einmal gegen uns. Christian fährt mit Bleifuß, um dann wieder abzubremsen, irgendein irrwitziges Hindernis zu umfahren und dann weiter zu jagen. Doch es nützt nichts. Ausgerechnet dieser Abschnitt ist der schlechteste Teil der Piste. Hier scheint der Track (vielleicht aus religiösen Gründen?) überhaupt nicht mehr gewartet zu werden und wir kommen kilometerlang nur noch im Schritttempo voran. Zu allem Überfluss fahren wir die ganze Zeit genau nach Westen und direkt in die sinkende Sonne hinein. Streckenweise können wir überhaupt nichts mehr erkennen, was fatal sein kann, wenn man auf einen umgestürzten Baum, ein ausgewaschenes Flussbett, einen scharfkantigen Felsen, oder einen Ast zu fährt, der wie ein Speer aus dem Boden ragt. Einmal schrecken wir ein großen, graues Känguru auf, das direkt neben unserem Auto aus dem Busch springt und ein anderes Mal fliegt ein großer Raubvogel einen Meter vor unsere Windschutzscheibe und Christian steigt wieder in die Eisen, um das Tier nicht zu erwischen.

Irgendwann entspannen wir uns einfach, lassen die Sonne sinken und die Zeit fließen. Erstaunlicherweise scheint die Zeit ab diesem Moment langsamer zu vergehen, der Track wird auch wieder besser und letztlich schaffen wir die Strecke doch in 2,5 Stunden. Damit können wir noch im Hellen einen Lagerplatz suchen und in diesem Fall suchen wir nicht lange, sondern stellen uns 20 Meter hinter dem Schild „End of No Camping Zone“ in den Busch.

Christian hebt eine Feuergrube aus, sammelt Holz und entzündet das Lagerfeuer, während ich das Lager aufbaue und uns dann eine riesige Portion Spaghetti Bolognese koche. Wir haben den ganzen Tag fast nichts gegessen, sind beide hungrig und erschöpft. Deswegen ist es einfach nur herrlich, sich nach getaner Arbeit an den Tisch zu setzen und im Schein des prasselnden Feuers zu essen. Der erste Bissen schmeckt zudem galaktisch gut und ist, wie Christian so schön sagt, als hätte man Musik in seinem Mund gegossen. Er hat Recht und auch ich bin davon überzeugt, noch niemals bessere Nudeln gegessen zu haben.

Später sitzen wir einfach nur da. Ich schaue abwechselnd in das Feuer und dann wieder zum Himmel hinauf. Über uns funkeln wieder einmal unzählige, ferne Sterne und das Licht noch fernerer Sterne bildet die Milchstraße. Der flackernde Schein der Flammen tanzt auf den Büschen, die uns hunderte von Qudratkilometern umgeben, Grillen zirpen und ein sanfter Wind bringt etwas Kühle. Ist das die Magie des Outbacks? Waren deswegen sämtliche Entdecker irgendwann von der Leere und der Stille besessen? Wer einmal mit einer solchen Wildnis in Berührung gekommen ist, der wird auf jeden Fall ein anderer sein, wenn er heimkehrt. Die Abgeschiedenheit macht etwas mit einem, geht einem unter die Haut. Die Weiten, der Busch, dieser Sternenhimmel und die Stille, das alles ist so groß, dass es meine Vorstellungskraft überschreitet. Deswegen sitze ich einfach nur da, starre abweselnd in die Flammen und dann wieder zu den Sternen hinauf und bin sprachlos.

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