Das ist also Neufundland. Neugierig schaue ich über die Reling zum Ufer hinüber, das die Abendsonne in goldenes Licht taucht. Die Vegetation ist karger geworden, Krüppeltannen und Kriechweiden überziehen das Land. Auf Anhieb fühle ich mich an Grönland, oder Lappland erinnert. Es ist auch deutlich kühler geworden, nordische Gefilde. Dabei habe ich heute mit Schrecken festgestellt, dass ich gar keine Jacke dabei habe. Das gibt es doch nicht. Wir haben an alles gedacht, Wochenlang Listen geschrieben und gepackt und dann vergesse ich meine Jacke? Also haben wir kurzer Hand noch eine besorgt, auch ein warmer Schlafsack wird angeschafft. Westy hat schließlich keine Heizung und nachts wird es hier sicher empfindlich kalt.
Kleine, bunte Häuschen gruppieren sich auf einer Landzunge um den Hafen, in den die riesige Fähre von Marine Atlantic ganz vorsichtig einläuft. Über sechs Stunden braucht sie vom Festland hierher, das Anlegen und Entladen dauert eine weitere Stunde. Doch dann spuckt sie uns zusammen mit den anderen Fahrzeugen auf dem Trans-Canada-Highway aus und unsere Reise über Neufundland beginnt.
Wenn die Kanadier von dieser Insel sprechen, dann bekommen sie immer so einen seltsam verklärten Glanz in den Augen. Es soll sehr schön sein! Anfangs habe ich allerdings gar nicht verstanden, wovon sie da schwärmen. Denn mein Ohr hört nicht „Newfoundland“, sondern (dem Akzent der Kanadier geschuldet) „Nüffelländ“. Dieses Lautbild erinnert mich eher an einen Kleintierpark, spezialisiert auf Kaninchen und nicht an die 100.000 km2 große Insel und zugleich östlichste Provinz Kanadas. Mittlerweile sage ich es aber auch: „Nüffelländ“, wenn wir gefragt werden, wo die Reise hingehen soll und ernte prompt ein Lächeln. Wenn man Nüffelländ sagt, ist man schon ein halber Kanadier.
Westy brummt gen Norden. Dabei ist höchste Konzentration angesagt, denn die Straßen sind eine Katastrophe. Immer wieder tauchen völlig unvermittelt mitten auf dem vierspurigen Highway tiefe Schlaglöcher, oder gefährliche Bodenwellen auf, die in keinster Weise als Gefahrenstelle gekennzeichnet sind. Geht auch nicht. Denn diese Achsenkiller sind so häufig, dass hier alles voller Warnschilder wäre. Am Berg fallen wir dann ganz gerne unter die magischen 70km/h und müssen laut kanadischen Verkehrregeln die Warnblinkanlage einschalten, die deswegen auch ziemlich häufig blinkt. Manche Verkehrsteilnehmer überholen uns dann hupend – wir sind ihnen viel zu langsam – andere winken frenetisch, wenn sie Westy erblicken, oder machen sogar Fotos von unserem Gefährt.
Heute besuchen wir den Gros Morne Nationalpark an der Westküste Nüffell… eh – Neufundlands. Dichte Nadelwäder überziehen die Berghänge, die Täler sind gefüllt mit weitläufigen Seen, an dessen Ufern sich kleine Häuser zusammendrängen, die definitiv skandinavisch wirken. Die Tablelands sind unser Ziel, eine Laune der Natur, die den Erdmantel aus 10km Tiefe nach außen stülpte. Wo kann man schon auf dem Erdmantel spazieren gehen? Ganz so spektakulär, wie in der Broschüre angepriesen, ist es aber dann nicht. Denn hier gibt es einfach nichts außer Felsen und Geröll. Gut, darum geht es auch. Durch die Plattentektonik ist eine Mondlandschaft entstanden, durch die man dann – ziemlich steil bergauf – wandern kann. Eine Dame mit Gehstöcken kommt ganz schön ins Schwitzen, eine Gruppe von Chinesen macht eifrig Fotos von dem Nichts. Besonders die Chinesin ganz in rosa kommt vor lauter Selfies gar nicht weiter. Der rosa Haarreif mit den Hasenohren ist nicht ihr Ernst, oder?
Wir kommen irgendwann oben an und entscheiden, jetzt nicht noch ganz bis zum Ende zu laufen, um noch mehr Steine zu sehen. Auf dem Rückweg werden wir sowohl von unseren asiatischen Freunden, als auch von der Dame mit den Stöcken angesprochen, ob es am Ende noch etwas Spektakuläres zu sehen gibt: Einen See, oder einen Ozean… Ich grinse. „Nein, gibt es nicht!“ Alle stiefeln diesen steilen Pfad hinauf und fragen sich, warum sie das eigentlich tun? Wir ehrlich gesagt auch. Aber darum geht es nicht. Es geht um das hier sein, um den Moment und vielleicht auch darum mal auszuhalten, dass gerade nichts wahnsinnig Spektakuläres passiert.
Beim abendlichen Grillen fallen dicke Regentropfen. Wir lassen uns aber nicht stören und essen unsere Rippchen und den Tomatensalat dann einfach im Regen. Na, mal schauen. Vielleicht greift die berühmte neufundländische Gelassenheit ja auch auf uns über…
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