Anderstouren

Über Jasper, Jerry und ihre bärtige Mama

Dass es in Coober Pedy nicht nur schräge Gestalten und Halunken gibt, die hoffen mit den Opalen das ganz große Geld zu machen, beweist Terry. Er betreibt ein Waisenhaus für Kängurus, das ganz sicher nicht viele Dollar abwirft und einen kleinen Laden, der den Spaß zumindest teilweise finanzieren soll. Ansonsten ist er auf die Spenden seiner Besucher angewiesen. An der Eingangtür prankt ein großes Schild mit seiner Handynummer, auf der er Tag und Nacht erreichbar ist, falls wieder ein Kängurubaby in Not gefunden wurde.

„Erst vor einer Stunde habe ich einen Neuzugang bekommen“, berichtet Terry und deutet zum Außengehege hinüber. Er geht auf die sechzig zu, trägt eine ausgewaschene Jeans und ein einfaches, graues T-shirt. „Ich habe ihn Jasper genannt und dann erst festgestellt, dass es ein Mädchen ist.“ Terry lacht über das ganze Gesicht und zuckt entschuldigend die Schultern. „Ach egal. Die kleine Jasper gewöhnt sich schon noch daran.“ Ihre Mutter sei auf dem Highway überfahren worden. Wie so oft befinde sich noch ein Jungtier im Beutel, das dann gerettet und hierher ins Waisenhaus gebracht werde.

„Auf diese Weise kommen die meisten Kängurubabys zu mir“, erzählt Terry weiter. „Aber manchmal bringen mir auch die Aborigines einen neuen Schützling, wenn sie das Muttertier bei der Jagd erlegt haben. Oft behalten sie das Jungtier für ein paar Tage, bis sie feststellen, dass ein kleines Roo ganz schön anstrengend werden kann, nicht wahr?“ Er zwinkert einem Aborigine zu, der schräg hinter ihm steht und Bilder malt. Er ist ein bekannter Maler der indigenen Bevölkerung und Terry ist stolz, ihn heute hier zu Gast zu haben. Der Mann hat dunkle, nein schwarze Haut, die so dunkel ist, dass sie sich kaum von seinem schwarzen Rippshirt und seiner Kappe unterscheidet. Er malt mit kräftigen Farben auf langen Bahnen, die bestimmt zwei Meter messen. Eines seiner Werke ist beinahe fertig: Schwarze Eukalpten stehen auf einer Hügelkette, die sich markant vor einem leuchtenden Sonnenuntergang abheben. Das Bild ist wirklich schön. Ein kleines Mädchen, vielleicht 4 Jahre alt, tritt an den Tisch heran und betrachtet den Pinsel mit großen Augen. Der Aborigine strahlt sie an, tunkt den Pinsel noch einmal in die schwarze Farbe und reicht ihn ihr. Dann sieht er lächelnd und voller Gelassenheit zu, wie die Kleine sein Werk zu Nichte macht.

Derweil möchte ein Kunde bei Terry ein Didgeridoo kaufen. Es ist ein tolles Instrument, das aus einem dunklen Stamm geformt wurde, der sich im unteren Bereich trichterförmig weitet. Doch natürlich möchte der Mann aus Western Australia vorher wissen, wie das Didge klingt. Terry schüttelt lachend den Kopf und reicht es dann an seinen indigenen Freund weiter. Der Aborigine setzt das Didgeridoo an die Lippen, als würde er seit seiner Geburt nichts anderes tun und so gleich erschallt ein voller, tiefer Ton durch den Laden. Augenblicklich verharren alle Besucher und lauschen wie gebannt. Der Mann versieht den Ton mit einem kräftigen Rhythmus und zaubert dann auch noch eine Melodie aus dem sprechenden Ast hervor. Respekt. Didgeridoomusik ist mir nicht ganz unvertraut. Unser Freund und Bandkollege Maik spielt dieses Instrument immerhin und ich habe selbst einige Male ziemlich erfolglos versucht, darauf herum zu tröten. Der Maler kann also nicht nur Landschaften seines Heimatlandes auf Leinwände bringen, er kann auch echt Didgeridoo spielen.

12 Uhr. Endlich. Die Tür zum Außengehege öffnet sich. Terry lässt nur zweimal am Tag Besucher in seine Aufzuchtstation, damit nicht zu viel Unruhe entsteht. In seinem Garten liegen vier ausgewachsene Kängurus und faulenzen im Schatten alter Bäume. Terry begrüßt sie wie alte Freunde. „Francesca, so lazy today?“ Francesca, ein großes „Red Kangaroo“ stellt sich mit Hilfe ihres langen, kräftigen Schwanzes auf die Beine und kommt auf Terry zu. Er hat Pistazienkerne und Bananenchips für sie und das weiß sie natürlich. Nur die Männchen haben ein rotes Fell, ihr Fell schimmert braun-gräulich. Mit weichen Lippen nimmt sie die Leckerbissen von Terrys Hand, an den Besuchern stört sie sich nicht.

Einem der einjährigen Känguru scheinen die fremden Menschen aber nicht so egal zu sein. Es folgt Terry auf dem Fuß und schlümpft dann eilig mit ihm durch die Tür eines Nebengebäudes. Ganz offensichtlich wollte das Jungtier auf keinen Fall mit den seltsamen Leuten allein bleiben. Ich kann es verstehen. Kurz darauf kommt Terry mit einer Tasche zurück, setzt sich auf einen Stuhl und beginnt sie auszuwickeln. Ich kann es kaum glauben, als aus dem hellblauen Handtuch ein Wirrwarr aus sehr großen Ohren und viel zu langen Beinen zum Vorschein kommt, die erstmal entknotet werden wollen. Das Kängurubaby Jerry schaut sich forsch in der Runde um. Alles klar. Er weiß, dass er der Star des Tages ist. Außerdem könnte es jetzt endlich mal etwas zu futtern geben.

Terry befördert den Nuckel eines Fläschchens mit geübten Handgriffen zwischen die Zähne des kleinen Roos und dieses beginnt so gleich genüsslich zu daran zu saugen. Jerry ist jetzt sechs Monate alt. Auch seine Mama ist auf dem Highway gestorben. „Er war sehr klein und völlig dehydriert, als er hier ankam“, berichtet Terry und hält dabei das Köpfchen seines Schützlings, damit dieser besser trinken kann. „Wenn die Jungtiere sehr klein sind, dann ist das Muttertier meist schon älter“, weiß Terry aus seiner Erfahrung zu berichten. Außerdem sei Jerry am Anfang immer furchtbar hoch gesprungen, um seine Tasche zu erreichen. Das deute ebenfalls daraufhin, dass seine Mutter ein großes Tier gewesen sein muss und er in ihren Beutel kommen musste.

Jetzt muss Terry seine Mutter sein. Alle vier Stunden bekommen die Kleinen die Flasche. Terry verwendet Babynahrung für menschliche Säuglinge und schaut mit einem schelmischen Grinsen in die Runde der Kleinsten. „Na, was denkt ihr?“ meint er und deutet auf das Fläschchen. „Möchtet einer von Euch den Rest, wenn Jerry nicht alles schafft?“ Die Kinder schütteln entsetzt den Kopf und treten unwillkürlich einen Schritt zurück. Niemand scheint Jerry das Fläschchen streitg machen zu wollen.

Ein anderes Mädchen hat Kelly, ein Stofftierkänguru mitgebracht. „Möchstest Du das Kelly Jerry kennenlernt?“ fragt Terry freundlich, als sein Schützling sein Mittagessen beendet hat. Das Mädchen nickt strahlend und reicht dem Mann ihre Kelly. Dieser hält Jerry das Stofftier vor die Nase, beide sind in etwa gleich groß und Jerry beginnt sogleich seine neue Freundin voller Begeisterung abzuschlecken. Terry gibt dem Mädchen das Stofftier eilig zurück. Ansonsten hätte Jerry die gute Kelly wahrscheinlich aufgefressen. Terry schüttelt den Kopf und blickt mit einem liebevollen Lächeln auf das Kängurubaby in seinen Armen hinab. Er scheint vollkommen in seiner Mutterrolle aufzugehen und Jerry scheint es wirklich gut getroffen zu haben mit seiner neuen Mama mit Bart. Er hat Glück gehabt. Auf Australiens Straßen sterben jährlich 800.000 Kängurus.

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