Westy brummt über die Straße, hinter uns bildet sich eine lange Autoschlange. Die Marine Road ist schmal und kurvig, Überholen unmöglich. So müssen alle einen Gang runterschalten, wie auch wir. Nach dem Stress der letzten Tage und der Hektik der Großstadt tut uns das ganz gut. Irgendwann sind aber auch keine Autos mehr da. Dieser äußerste Zipfel Nova Scotias wirkt einsam, wirkt vergessen. Wir fahren durch endlose Wälder, die bereits damit beginnen, ihr Herbstkleid anzulegen. Ab und zu passieren wir ein Haus, dessen Holzschindeln von der Wand fallen, allerlei Gerümpel und einige Autowracks zieren den Vorgarten. Verständlicherweise – wir wissen schließlich inzwischen, wie schwierig es ist, sein Auto reparieren zu lassen.
An einem weiten Sandstrand machen wir eine Pause. Das Wasser ist seicht, herrlich klar und so „warm“, dass ich sogar eine Runde schwimmen gehe. An der einzigen Tankstelle auf der Strecke ordere ich ein Eis, immerhin scheint die Sonne und wir haben Urlaub. Ich wähle Cookie und Peanutbutter Chocolate. Die junge Frau strahlt mich an. „Single or double?“ Ich entscheide mich hastig für single – wer weiß, was hinter „double“ steckt. Sie nickt, schnappt sich die Eiswaffel und den Löffel und beginnt wild in der Eisbox zu kratzen. Himmel. Was macht sie da? Denn als sie wieder auftaucht, drückt sie mir eine Eiskugel von der Größe eines Tennisballs in die Hand. Was? Das ist die „single“ – Portion? Du liebe Güte. Dann will ich gar nicht wissen, wie das doppelte Eis ausgesehen hätte – ein Fußball?
Am Abend fahren wir behutsam über einen Schotterweg runter zum Meer, schön langsam natürlich. Westy ist nicht Allaq! Trotzdem erreichen wir einen wilden Strand mit großen Kieseln, wo wir die Nacht verbringen möchten. Das Meer ist ganz ruhig, ab und zu schlägt eine kleine Welle auf die Steine. In der Ferne ragt eine bewaldete Halbinsel ins Meer hinaus, ein Schiff hält auf Neufundland zu. Wir bauen Tisch und Stühlchen auf und ich koche mit Speck umwickelte Hähnchenbrust, dazu gibt es Salat. Dabei genießen wir es unglaublich, nach all dem Fastfood wieder richtiges Essen zu essen. Überhaupt genießen wir das alles. Denn wenn wir uns nun umsehen, dann sind wir nur von Natur umgeben!
Patrice gesellt sich zu uns. Er steht mit seinem Zelt ein Stück weiter oben an der Straße. Er kommt aus Québec und stellt sich als französisch sprachiger Kanadier vor. Das scheint sehr wichtig zu sein. Er ist unheimlich nett und rücksichtsvoll, schleicht immer über die Kiesel, um uns bloß nicht beim Essen zu stören. Doch als ich mir gerade meine Hähnchenbrust auf den Teller lade, dringen seltsame Geräusche aus dem Wald gleich neben unserem Tisch. Ich starre angestrengt durch den Busch und dann sehe ich den Guten, wie er sich durch das Unterholz schlägt. Was macht er da bitte? Denn kurz darauf klettert er bereits auf einen Baum, um in 3 Metern Höhe irgendetwas zu befestigen. Ich bin einigermaßen irritiert und sehe ihn fragend an, als er wieder über die Kiesel an uns vorbei schleichen will. „Oh, it’s the bears“, erklärt er dann, als sei das ganz selbstverständlich. Wie bitte? Bären? Ja, natürlich. Hier wären überall Bären und er habe sein Essen gerade in den Baum gehängt. Ich schlucke und starre auf die knusprige Hähnchenbrust mit dem Speck auf meinem Teller. Sicher ein Leckerbissen für die Bären. Natürlich weiß man irgendwo, dass es in Kanada Bären gibt – aber hier? Patrice bemerkt meinen besorgten Blick. Im Auto wären die Vorräte in Sicherheit, keine Sorge. Wenn wir auf einen Schwarzbären stoßen, sollten wir am besten zuerst angreifen. Äh, was? Ich denke, diese Worte sollten mich beruhigen, was aber nur bedingt gelungen ist.
An diesem Abend entzünden wir ein Lagerfeuer, das erste auf dieser Reise. Wie ein Leuchtfeuer lodern die Flammen in den dunklen Nachthimmel, während am gegenüberliegenden Ufer ebenfalls einige Feuer entzündet werden. Das Treibholz knackt in der Glut, Grillen zirpen und ab und zu rauscht eine Welle über die Kiesel. Sonst ist es still, endlich wieder still. Und es wird auch wieder richtig dunkel. All das künstliche Licht und den Lärm der Stadt haben wir hinter uns gelassen. Eine Last fällt von uns ab, es ist ein herrlich, warmer Abend – für nordkanadische Gefilde nahezu eine tropische Nacht. Und zumindest heute scheinen die Bären kein Interesse an unserem Speck zu haben. Die einzigen Tiere, die unser Lager angreifen, sind freche, kleine Streifenhörnchen, die auf ein paar Krümel hoffen. Na gut, mit denen sollten wir fertig werden, obwohl wir einen von diesen Kerlchen glatt aus dem Kofferraum holen müssen. Vielleicht hätten wir auch zuerst angreifen sollen, aber nicht mehr heute Nacht…
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Wünsche euch einen ganz tollen Start in den Abenteuerurlaub. Genießt die ersten Tage in der Natur und toitoitoi für Allaq, dass er bald wieder fit ist.
Patrice hat recht, Schwarzbären sind meist eher schissig, sobald man Theater macht.
Dann kann Christian ja nochmal das Nashorn machen, dann klettert der Bär bestimmt vor Schreck auf einen Baum. 😉
Bei einem Grisly solltet ihr aber besser selber auf den Baum klettern und das Bärenspray zücken. 🙂
Ganz viel Spaß und tolle Erlebnisse!!!
Oh man, hab ich Grizzly direkt falsch geschrieben, daran merkt man, dass ich länger nicht mehr in Kanada war. 😉
🙂 Danke für die Tipps – werden wir beherzigen und zur Not muss wirklich wieder das Nashorn an den Start 🙂
Freut mich für Euch, dass der Urlaub anfängt. Genießt die Wildnis!
Danke – ja, wir versuchen das Beste draus zu machen, während unser Auto repariert wird… LG