Anderstouren

Wie Weihnachten

Die Palmen rauschen, wir genießen ein herrliches Frühstück bei 30 Grad. Wenn es ein Paradies gibt, dann ist es hier, im Saline Valley. Doch obwohl wir uns zum Frühstück lediglich eine Birne geteilt haben, werden wir aus dem Paradies vertrieben. Denn alle Wettervorhersagen deuten daraufhin, dass heute Schnee kommt. Das klingt zwar bei diesen Temperaturen völlig absurd, doch es scheint leider zu stimmen. Zudem gibt es da zwei Pässe von 1900 und 2200 Metern Höhe, die wir überqueren müssen, um aus diesen Tal wieder hinaus zu kommen. Und selbst wenn es hier nicht schneit, sitzen wir danach wahrscheinlich tagelang fest…

Also packen wir schweren Herzens unseren Kram und arbeiten uns die Pässe hinauf und aus dem Saline Valley hinaus. Als wir dann den höchsten Punkt erreichen, können wir auch wahrhaftig eine bedrohliche Wolkenfront sehen, die bereits über die schroffen Berggipfel der Sierra Nevada bricht und diesen Schneesturm bringen wird. Mist. Die Vorhersage stimmt tatsächlich und wir suchen eilig am Fuß der massiven Felswand des Mount Whitney Schutz. Schon prallt der Sturm gegen unser Außenzelt und wir sitzen zähneklappernd in der Kabine. Immerhin erleben wir gerade einen Temperatursturz von 31 Grad. Am nächsten Morgen sind die Berge von Schnee überzuckert. Die Luft ist klar und eisig, wie an einem Wintermorgen. Gleichzeitig sieht die Eastern Sierra Nevada schöner aus denn je.

Wir passieren den kleinen Ort Bishop, in dem es die einzige richtige Bäckerei weit und breit gibt. Ja, für uns ist es sogar das erste Mal seit zwei Monaten, dass wir eine Bäckerei betreten. Früher gab es viele Bäcker wie diesen hier und die europäischen Einwanderer schätzten das gute Brot. Doch ihre Nachkommen leben von Donuts, Bageln und Sandwich und so brachen die Kunden weg. Diese Bäckerei existiert jedoch seit 50 Jahren und ist wirklich etwas Besonderes. Sie wurde von einem Holländer namens Schat aufgezogen und ist bis heute ein Familienbetrieb. In den Regalen türmen sich duftende Brote; leckere Teilchen und Kuchen liegen in den Auslagen, es riecht nach Zimt und warmem Gebäck. Ich laufe mit leuchtenden Augen durch den Laden und fühle mich wie ein Kind am Weihnachtsabend. Natürlich kaufe ich ein großzügiges Frühstück ein, das auch noch erstaunlich gut schmeckt!

Auf der 395 fahren wir dann in immer größere Höhen und die Welt sieht aus, als wäre sie ebenfalls in Schats Zuckerküche gefallen. Denn jeder Grashalm und jeder Ast ist von eine hauchdünnen Eisschicht überzogen. Eine Flagge ist in der eisigen Luft mitten in der Bewegung erstarrt, Raureif bedeckt die Wiesen, die Seen sind zugefroren. Was kann man an diesem Wintermorgen Besseres tun, als ein Bad in einer der herrlichen warmen Quellen mit Blick auf die verschneiten Berge zu nehmen?

Der Mono Lake ist natürlich nicht zugefroren. Dafür ist dieser See viel zu salzig. Seine Tufagebilde erheben sich leuchtend in der Sonne und spiegeln sich in dem stahlblauen Wasser des Sees. Wir könnten noch stundenlang hier am Ufer bleiben und fotographieren, doch wir wollen heute noch den Tioga Pass überwinden. Gestern war er wegen des Schneesturms gesperrt und morgen wird noch mehr Schnee kommen. Heute ist also unsere einzige Chance auf die Westseite dieses Gebirges zu gelangen, denn der Winter macht ziemlich klar, dass er nun Einzug hält.

Auf Passhöhe (2900 Meter) liegt dann auch richtig viel Schnee, die Seen, ja sogar die Flüsse sind gefroren. Heute Nacht herrschten hier eisige -10 Grad. Und auch wenn wir gestern noch in Badeklamotten durch die heiße Wüste gelaufen sind, müssen wir uns wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, dass es November ist und Weihnachten tatsächlich bald vor der Tür steht. Dieser Eindruck verstärkt sich, als wir dann auch noch eine prächtige Eule am Wegesrand entdecken. Wir haben ihre Rufe schon gehört, doch nie haben wir eine Eule in freier Wildbahn gesehen. Das Tier dreht den Kopf und sieht aus seinen durchdringenden Augen an. Es ist ein großer Vogel, mit einem schönen, glänzenden Gefieder. Wunderbar.

Doch so schön diese winterliche Weihnachtsstimmung auch ist – noch ist es nicht so weit und Allaq rollt die Serpentinen aus der luftigen Höhe und Kälte der Sierra Nevada eilig wieder hinunter. Denn nach diesem Ausflug in den Winter sind wir uns einig: Wir werden uns nun noch einmal in der Wüste verkriechen und ein wenig Wärme tanken, bevor wir dann wirklich das erste Kerzlein anzünden…


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