Anderstouren

Willkommen im 21. Jahrhundert!

Die Great Victoria Desert ist mit 420.000 Quadratkilometern Australiens größte Wüste und bedeckt 5% des Kontinents. Doch ihre enormen Ausmaße, die zweifellos beeindruckend sind, sind nicht alles, was die Wüste besonders macht. Es ist kaum vorstellbar, aber dieses riesige Gebiet ist unbewohnt und wurde auch niemals bebaut oder bewirtschaftet. Es gibt keine eingeschleppten Pflanzen, die sich andererorts rasend schnell verbreiten und heimische Gewächse verdrängen. Wir fahren auch nicht ständig über Kuhfladen und die Flächen sind nicht überweitet und karg. Ja, wahrscheinlich sieht Australien hier noch so aus, wie es aussehen würde, wenn die Europäischen Siedler den 5. Kontinent niemals betreten hätten.

The Great Victoria Desert

Mittlerweile wurde das Gebiet an die Aborigines zurückgeben und auf dem Anne Beadell Highway queren wir zwei ihrer Territorien. Im Maralinga Tjarutja Gebiet, das noch in South Australia liegt, droht man uns mit einer Straße von 2000 Dollar, wenn wir die Grenzen ihres Reiches ohne Durchfahrtgenehmigung passieren. 500 Dollar kostet jeder weitere illegale Tag auf dem Land der traditionellen Eigentümer und ich frage mich ernsthaft, was passiert, wenn hier jemand ohne das heilige Permit ums Leben kommt. Lassen die werten Herren dann im Nachhinein feststellen, wann der Tod eingetreten ist, um den Anhörigen des Verschwiedenen noch 500 Dollar pro Tag abzuknöpfen? Besucherfreundlich sind sie auf jeden Fall nicht und zwischenzeitlich wollen sie uns auch noch eine Gefängnisstrafe von nicht weniger als sieben Jahren aufbrummen, für den Fall, dass wir vom Track abweichen sollten. Hallo? Jetzt reicht’s aber.

Ganz anders die Spinifex People auf der Western Australia Seite: Anstatt uns zu drohen, begrüßen sie uns an ihrer Landesgrenze mit bunten Schildern und warmen Worten, die uns auf ihrem Land herzlich willkommen heißen. Es gibt Wassertanks für den Notfall und wir fahren das beste Stück Piste des ganzen Highways. Die Spinifex People scheinen ein aufgeschlossenes und traditionsbewußtes Volk zugleich zu sein. Offenbar verstehen sie es, mit der Zeit zu gehen und gleichzeitig ihre Werte zu erhalten.

Am heutigen Tag treffen sich in Ilkurlka zum Beispiel mehrere Künstler aus verschiedenen Kommunen, um gemeinsam zu malen. Durch die Zeichnungen werden die Geschichten der Aborigines weitergegeben und die Alten vermitteln der jüngeren Generation etwas von ihrem kostbaren Wissen. Das Ganze findet natürlich hinter verschlossen Türen und in der Kommune statt, zu der Fremde keinen Zugang haben. So viel zur Tradition. Gleichzeitig hören wir voller Staunen, dass die Spinifex People ein Kamerateam eingeladen haben. Die beiden Weißen sollen das Event in ihrem Auftrag festhalten und eine Dokumentation darüber erstellen, die die Spinifex People dann auf ihre Homepage stellen können. Moderne und Tradition scheinen sich hier also nicht auszuschließen.

Phil ist wegen des heutigen Events ganz aufgeregt. „So etwas findet in dieser Form nur einmal im Jahr statt“, berichtet der 65jährige im kakifarbenen Rangerhemd mit leuchtenden Augen. Er erwarte deswegen 16 Gäste, eine Zahl, von der er in den vergangenen Monaten sicher nur träumen konnte. Phil arbeitet jetzt seit 9 Jahren für die Aborigine Gemeinde und führt in ihrem Namen das Roadhouse in Ilkurlka. Es ist die einzige Tankmöglichkeit auf dem gesamten Track und ein Liter Diesel kostet stolze 3.30 Dollar, ganze 2 Dollar mehr als in Perth! Zudem gibt es einen kleinen Laden, dessen Regale Fliegenumschwirrt und eher spärlich bestückt sind. Neben Zeichnungen der Aborigines reihen sich Thunfischdosen, Corned Beef und Beans aneinander; alles Lebensmittel, die lange, sehr lange haltbar sind.

Laden im Roadhouse Ilkurlka

„Mit der Warenlieferung war es in letzter Zeit schwierig“, erzählt Phil, der sich sichtlich darüber freut, dass jemand mehr über seinen Lebensentwurf erfahren möchte. „Fleisch haben wir hier zu genüge“, meint er und deutet auf die Tiefkühltruhe. „Aber frisches Obst gibt es manchmal wochenlang nicht. Das fehlt uns hier draußen eigentlich am meisten.“ Ab und an bringen die Aborigines wohl etwas mit. Obst und Gemüse wird auf dem Markt besonders heiß gehandelt, der einmal wöchentlich in der Gemeinde stattfindet. Phil hat einen guten Draht zu den Ureinwohnern Australiens, trotzdem bleiben sie in der Kommune meistens unter sich.

Ich will wissen, wie es so ist, „in the middle of nowhere“ zu leben. Phil stemmt die Hände empört in die Hüften. „Ich lebe nicht mitten im Nichts. Ich habe doch eine riesige Metropole gleich nebenan.“ Er lacht und zeigt in Richtung der Aborigine Gemeinde, in der 200 Menschen leben. Wenn Ilkurlka eine pulsierende Metropole ist, dann wird Oodnadatta demnächst zur Landeshauptstadt erklärt.

„Man braucht hier einen guten Sinn für Humor, wenn man nicht den Verstand verlieren will“, meint Phil und grinst. „Im Sommer ist es einfach viel zu heiß und dann kommt hier nicht ein Auto durch.“ Phil verrät uns, dass wir erst das vierte Auto seien, dass es dieses Jahr hierher geschafft habe. Eine Familie habe er nicht. Also sei er über Monate der einzige Weiße hier draußen. Kein Wunder, dass er völlig aus dem Häuschen ist, weil heute nicht nur die Künstler der Aborigines, sondern auch noch ein Filmteam und ein Auto aus Deutschland in Ilkurlka einfallen. Ein solch weitgereistes Fahrzeug habe es hier noch nie gegeben und er reicht mir prompt sein Gästebuch, in dem ich natürlich einen Eintrag hinterlassen muss. Für ihn ist das wahrscheinlich wie Weihnachten und Ostern an einem Tag und außerdem „a very busy day“.

Voller Stolz zeigt er Christian dann noch seine Wassertanks, an denen wir uns auch einen Kanister für die weitere Reise abfüllen dürfen. Sie haben hier nach Wasser gebohrt und das Windrad fördert gerade genug, um die Kommune und Phil zu versorgen. Ich erkundige mich nach dem Zustand des weiteren Tracks und Phil zuckt lachend die Schultern, während eine Fliege in seine Nase kriecht. Er scheint es gar nicht mehr zu bemerken. „So weit ich weiß, ist die Straße Richtung Laverton ganz gut. Zumindest erzählt man sich das.“ Er selbst sei die Straße noch nie gefahren, er habe nämlich kein Auto. „Seit 9 Jahren spare ich jetzt dafür und warte darauf, dass ich irgendwann ein Auto bekomme.“ Phil strahlt mich an. Dann hält er einen Moment inne, vertreibt die Fliege nun doch gedankenverloren und starrt dabei verträumt ins Nichts. „Wenn ich irgendwann ein Auto habe, dann fahre ich auch einmal weg von hier.“

Ilkurlka Roadhouse, 554 Kilometer von Laverton und 779 Kilometer von Coober Pedy entfernt…

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