Anderstouren

Alles easy, no worries!

Wir fahren zurück Richtung Perth, denn unsere Reise neigt sich dem Ende entgegen. Bevor wir jedoch nach Hause in den kalten Winter fliegen, wollen wir uns noch die Nationalparks im Südwesten ansehen.

Wir staunen nicht schlecht, als wir einen Tag und 800 Kilometer später mitten im Urwald stehen. Der Warren Nationalpark schützt uralte Karribäume, die mit unter 500 Jahre alt und 90 Meter hoch sind. Zwischen den Baumriesen ist jeder Zentimeter mit Grün bedeckt. Schlingpflanzen wuchern an den mächtigen Stämmen empor, riesige Farne recken ihre Blätter den wenigen Sonnenstrahlen entgegen, die das dichte Blätterdach der Eukalypten durchlässt. Wir schauen uns fassungslos um und könnten schwören, dass man uns über Nacht ohne unser Wissen in ein anderes Land, oder zumindest nach Tasmanien gebracht hat. Denn nach der dürren Kargheit des Outbacks kommt uns dieser Wald beinahe unwirklich grün und lebendig vor.

Kängurus grasen auf den Lichtungen, oder springen zwischen den Büschen davon, wenn wir vorbei fahren. Geckos und Warane hocken immer wieder auf dem Track und sonnen sich und einmal kriecht sogar eine Schildkröte über den Weg, um von einem Tümpel in den anderen zu wechseln. Bunte Kakadus flattern zwischen den Ästen umher und in der Dämmerung erschallt das markante Gelächter der Kookaburras. Beginnt einer dieser Kerlchen sein Revier durch seinen Ruf zu verteidigen, stimmt sogleich ein anderer aus der entgegen gesetzten Richtung mit ein und irgendwann lachen und gackern sie um die Wette. Ein irres Konzert!

Zudem schwirren überall Insekten durch die Luft. Was wir zunächst für dicke Fliegen halten, entpuppt sich relativ schnell als Stechbremse, die diesen Wald (und seine Besucher) ebenfalls zu schätzen wissen. Einer dieser brummenden Biester erwischt mich an der Hand, die sich danach in einen unkenntlichen, unförmigen Fleischklumpen verwandelt. Mit dieser Hand könnte ich in einem Alienstreifen mitspielen und die Rolle einer Spezies mit zwei Fingern übernehmen, oder Harry Potters Tante Konkurrenz machen, nachdem er sie aufgeblasen hat…

Doch in den Mammutbäumen finden wir nicht nur eine äußerst bunte Tierwelt, sondern auch Menschen. Der Stamm des Dave Evans Bicentennial Tree wurde mit Eisenstangen gespickt und erlaubt besonders wagemutigen (oder präsuizidalen) Besuchern in die Baumkrone des Riesen hinaufzuklettern. Ich traue meinen Augen kaum. Das ist ein schlechter Scherz, oder? Es gibt nur diese Eisenstangen und ein müdes Netz an der Seite. Doch ansonsten ist dieser Kletterparcours vollkommen ungesichert. Man kann einfach durch die großzügigen Sprossen hindurch- und gleich in die Tiefe segeln… Was ist denn bitte, wenn man abrutscht?

Ein Schild weist immerhin daraufhin, dass man keine Flipflops bei dem halsbrecherischen Aufstieg tragen soll… Das ist wahrscheinlich auch nötig, denn der Australier trägt schließlich zu jeder Gelegenheit Flipflops, vom Galaempfang bis zur Arbeit in den Minen… Aber ansonsten ist der Aufstieg auf diesen Baum natürlich ganz easy, no worries. Er ist zwar nur 70 Meter hoch und die Spitze des Giganten schwankt 1,5 Meter hin und her, aber das ist alles kein Problem… In unseren Gefilden und erst recht als offizielle Einrichtung eines Nationalparks vollkommen undenkbar! Mir wird auf jeden Fall schon bei der Vorstellung ganz anders zu Mute, dort hinauf zu kraxeln. Ich würde wahrscheinlich schon nach zehn Sprossen vor lauter Panik einfrieren und müsste wie eine Katze von der Feuerwehr gerettet werden. Die Australier scheinen da einfach ein anderes Gefühl für Sicherheit zu haben und zeigen sich auch in ihren Nationalparks tiefenentspannt.

Der Dave Evans Bicentennial Tree

Ein anderes Beispiel: Im D’Entrecasteaux Nationalpark gleich nebenan gibt es einen Track am Meer entlang, der uns zu einer einfachen Campsite führt. Dort wollen wir gerne die Nacht verbringen. Also fahren wir gegen Abend in den Waldweg ein und denken uns nichts Böses. Auf den ersten Metern begegnen wir einem Australischen Päarchen in ihrem aufgemotzten Allrader. Sie halten natürlich neben uns an, um den obligarorischen Pisten-Schwatz zu halten. Macht man einfach auf einsamen Straßen so. Da fährt kein Fahrzeug einfach vorbei, ohne sich nach dem anderen zu erkundigen. Selbst wenn man nur mal kurz im Busch verschwinden, oder die Luft aus den Reifen lassen will, halten die Leute neben einem an und fragen nach. Kein anonymes Wegschauen. Hier draußen hilft man sich, wenn es hart auf hart kommt. Ich nutze die Gelegenheit und erkundige mich, wie der Weg so sei. Die Frau im Holzfällerhemd lässt das Fenster herunter (hier sitzt Frau am Steuer des Jeeps) und lächelt mich an. Der Weg sei ganz easy. Überhaupt kein Problem. Wir sollten nur etwas Luft aus den Reifen lassen, was wir natürlich schon getan haben.

Gut, dann wird es wohl nicht so wild sein. Es gibt auch kein Schild „4×4 only“ und sogar die Beschreibung in unserem Trackbook erwähnt nicht ein Wort von Tiefsand, Löchern, Steilpassagen und Schräglagen. Trotzdem befinden wir uns wenig später und völlig unvermittelt in der absoluten Tiefsandhölle. So etwas sind wir tatsächlich noch nie gefahren und es ist das erste Mal, dass unser Allaq wirklich an seine Grenzen kommt. Die Reifen wühlen sich mit lautem Geheul durch den Sand, obwohl Christian den Reifendruck auf 16 psi (!!) verringert hat. Die Fahrspur ist tief ausgefressen und wartet immer wieder mit Löchern auf, in denen man einen Kinderwagen versenken könnte. Wir krachen mit voller Wucht hinein, denn wenn Christian den Fuß auch nur eine Sekunde vom Gas nimmt, bleiben wir stecken und zwar sofort. Der Wagen geht ächzend in die Knie und das Fahrwerk knarrt. Dazu geht es ständig steil bergauf, um die Kurve, um kurz darauf wieder in die Tiefe zu stürzen, sodass wir jedes PS brauchen, um uns überhaupt durch diesen Albtraum zu pflügen. An eine Umkehr ist nicht zu denken: Der Track ist so schmal, dass man nirgendwo drehen kann und was hinter uns liegt, ist schließlich auch nicht besser, als das, was uns noch erwartet. Also umklammert Christian eisern das Steuer, sperrt alle Diffentiale und bleibt auf dem Gas. Ich schließe indes einfach die Augen, weil der Wagen wieder durch eine Sandverwehung rutscht und jeden Moment stecken bleibt. Doch irgendwann ist es vorbei und wir rollen mit stinkender Kupplung und geschundenen Stoßdämpfern auf den Campground. Für einen Australier mag das alles ganz harmlos sein, aber ich kann es kaum fassen, dass so etwas einfach eine ganz normale Straße in einem Nationalpark sein soll…

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