Anderstouren

Die ungleichen Brüder

Tasmanien ist für seine weißen Strände und das kristallklare und tiefblaue Meer bekannt. Das wissen natürlich auch andere zu schätzen und so reihen sich die Camper und Wohnmobile an der Ostküste aneinander und die kleinen Orte sind allesamt hübsch touristisch aufbereitet. Das „remote paradies“ werden wir dort aber nicht finden und auch die Bergseen Tasmaniens sind klar und blau. Deswegen haben wir die Küste bald verlassen und befinden uns im Landesinneren auf 1200 Metern Höhe.

Die Temperatur ist empfindlich gefallen und ich ziehe meine Jacke bis zum Hals zu. Ich trage schon zwei Hosen und die einzigen beiden Pullis, die ich überhaupt dabei habe. Dafür ist es hier oben herrlich ruhig. Lediglich zwei Papageien streiten sich lautstark auf den Ästen des lichten Waldes hinter uns und ein Rabe lässt seinen markanten Ruf hören. Dabei ist so still, dass wir seine Flügelschläge hören können, als er über den See und dann über unser Lager fliegt. Lammrippchen brutzeln auf dem Grill und verbreiten einen herrlich Duft. Ich habe Nudelsalat selbst gemacht, auf den wir schon seit Tagen Hunger haben. Eine kühle Cola und ein Gingerbier dazu, was will man mehr? Uns fehlt hier eigentlich nichts, nur das Deutsche Brot, das vermissen wir manchmal. In Adelaide habe ich mich in die Deutsche Bäckerei „Rheinland“ verirrt und war doch einigermaßen überrascht, als ausschließlich Toastbrot mit ein paar versprengten Körnern als „Deutsches Brot“ verkauft wurde.

Wir haben unser Lager direkt am Ufer des östlichen Sees der beiden Highland Lakes aufgeschlagen. Hier oben ist niemand, außer den wenigen Einwohnern, die meist in recht kleinen, eingeschossigen Häusern leben. Das Dach ist mit Wellblech gedeckt und auf den Grundstücken finden sich stets 15-20 Autowracks, die im Garten vor sich hinrosten. Der Müll scheint die Bewohner nicht zu stören, sie haben die schöne Natur schließlich vor der Haustür. Dennoch sehen wir erstaunlich oft ein Schild „For Sale“, zu verkaufen, an den Anwesen. Landflucht ist hier auf jeden Fall ein Thema. Von den Australiern auf dem Festland werden die Tassies gerne belächelt und als etwas rückständig betitelt. Das Lehrerehepaar aus Victoria zum Beispiel, mit dem wir auf der Fähre ins Gespräch kamen, meinte mit einem süffisanten Lächeln, dass die Tassies alle 5 Jahre zurück seien und hier in den Bergen ohnehin jeder mit jedem verwandt sei. Sie sind wie zwei ungleiche Brüder, Tasmanien und Australien. Der Kleine wird mit gemäßigtem Klima, Regen, Seen und üppigen Wäldern ganz klar bevorzugt, woraufhin sich der große Bruder durch Kultur, Bildung und seine unbegrenzten Möglichkeiten hervorheben muss.

Wir haben zumindest nur positive Erfahrungen mit den Inselbewohnern gemacht. Sie sind überaus freundlich und im Supermarkt werde ich sogar mit „no worries, Darling“ verabschiedet. Der Smalltalk gestaltet sich aus zwei Gründen allerdings etwas schwierig. Zum einen beginnen die Tassies das Gespräch stets mit einem Einstieg, den man absolut nicht erwartet. Zum Beispiel: „Den Sand zu schaufeln, ist eine ganze Menge Arbeit“, oder „Ich habe niemanden gesehen, der das Auto fährt.“ Und noch zwei weitere Ansprachen, die wir aber einfach nicht verstanden haben, denn das zweite Problem ist der extreme Akzent, den man nur nachahmen kann, wenn man die Luft durch die zusammengeklebten Zähne presst und eine Flasche Tasmanischen Whiskey intus hat. Trotzdem der Verständigungsschwierigkeiten sind diese kurzen Kontakte sehr nett. Im Straßenverkehr auf den schmalen, kurvigen Straßen, die oft in einem erbärmlichen Zustand sind, ist mit den Tassies aber nicht zu spaßen. Sie fahren alle wie die Verrückten und in unseren Augen mindestens 40km/h zu schnell. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie mit normalen PKWs über die Schotterpisten heizen, ein anderes Fahrzeug abschleppen, oder ein viel zu breites Boot im Schlepptau haben, das in den Kurven gefährlich schlingert. Dieses Fahrverhalten erklärt wahrscheinlich die vielen überfahrenen Tiere am Straßenrand.

An den Highland Lakes
Blogschreiben am Highland Lake

In der Nacht prasseln Regentropfen wie Kieselsteine auf unser Dach und die Temperatur fällt auf 1 Grad. Am nächsten Morgen klettere ich aus der Kabine, die Füße im feuchten Gras und atme die klare und kalte Morgenluft ein, in der man den nächtlichen Regen immer noch finden kann. Ist es nicht schon verrückt genug, dass hier die Sterne auf dem Kopf stehen, dass die Leute alle auf der falschen Straßenseite fahren und dass es gerade Herbst wird, während zu Hause der Frühling anbricht? Wir sind nicht nur auf der anderen Seite der Erde unterwegs, wir haben es auf dieser Reise auch noch mit vollkommen verschiedenen Landstrichen zu tun, sodass wir einmal vor Hitze kaum noch atmen können und im nächsten Moment fest daran glauben, in Lappland zu sein, nur die Rentiere lassen auf sich warten. Aber Australien ist nun einmal ein Land der Extreme. Wo kann man sonst innerhalb eines Landes einen Temperaturunterschied von 48 Grad erleben?

Unsere weitere Reise bringt uns durch die Central Highlands zur Westküste, an der man durchaus noch einsame Plätzchen finden kann. So gelingt es uns gleich zweimal direkt am Meer zu übernachten. Morgens frühstücken wir am Strand zwischen Büschen, Bäumen und Farnen, die hier direkt bis ans türkisblaue Meer reichen. Der Westen ist wirklich schön und in weiten Teilen noch unerschlossen. Allerdings muss man mit den ständig wechselnden Wetterverhältnissen leben. So kann es innerhalb von wenigen Minuten wie aus Kübeln schütten und im nächsten Moment strahlt dann wieder die Sonne. Die Höchsttemperaturen am Tag liegen bei 14 Grad. Aber in gewisser Weise genießen wir die Kälte auch ein wenig. Denn es wird das letzte Mal auf dieser Reise sein, dass ich mir nachts noch eine Wolldecke hole, weil mir zu kalt wird. Wenn wir Tasmanien verlassen haben, können wir auch die lange Hose und den Pullover wieder wegpacken und werden uns wahrscheinlich noch nach dem kühlen Wind zurücksehnen. Auch von dem Blick auf einen See voller Wasser und dichten, üppig grünen Wald, der sich die Berghänge hochzieht, können wir bald nur noch träumen. Denn zurück auf dem Festland geht es auf direktem Weg ins Outback, in jenes staubige und heiße Nichts, das auf uns dennoch eine unwiderstehliche Faszination ausübt. Von Melbourne aus brechen wir sozusagen in den zweiten Teil unserer Reise auf, der uns über die „Great Desert Tracks“ ins rote Herz Australiens führen wird und darauf gilt es sich jetzt vorzubereiten!

See you, Tasmania!

2 Kommentare

  1. Passt auf euch auf im heißen Outback! Hier stürmt und regnet es seit Tagen – so viel zum Thema beginnender Frühling! Liebe Grüße! 🙂

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