Ich trabe einen schmalen Grad entlang und blicke satt und zufrieden hinunter in das Tal. Die meisten kommen nicht bis hier hoch. Der Aufstieg ist viel zu beschwerlich, zu viele Steine. Doch hier oben wachsen die saftigsten Grashalme und die leckersten Blättchen. Nun wird es aber Zeit ins Tal zu gehen. Die Wasserquelle ruft und eine Pause habe ich mir nach dem langen, warmen Tag auch verdient.
Doch ein unschönes Geräusch lässt mich inne halten. Was ist das? Das hier ist ein absolut abgelegenes Tal und es kommt nie jemand hierher. Ich stelle die Ohren auf. Solch scheußlichen Lärm gab es hier früher oft, als die Menschen in meinem Tal unerlaubter Weise eine Miene betrieben haben. Doch das ist lange vorbei und ihre lärmenden und stinkenden Blechkisten sind alle verschwunden. Doch dann biegt wahrhaftig eins dieser Dinger um die Ecke und stellt sich gleich dort unten auf meinen Weg. Hallo? Was soll das denn werden? Wissen die Menschen nicht, dass das hier mein Tal ist?
Ich stampfe wütend mit dem Huf und starre ins Tal hinab, aber die beiden Menschen scheint das überhaupt nicht zu kümmern. Fassungslos sehe ich mit an, wie sie das Dach dieser Kiste hochklappen, Tische und Stühle rausstellen und es sich mitten auf meinem Heimweg gemütlich machen. Na, warte. Denen werde ich es zeigen. Ich hole tief Luft und lasse ein Fauchen vom Feinsten hören. Zufrieden stelle ich fest, dass es donnernd von den steilen Berghängen widerhallt und das Menschenweibchen erschrocken stehen bleibt. Ha, das hat gesessen. Jetzt werden sie wohl hoffentlich schnell verschwinden. Die beiden tauschen auch prompt einen alarmierten Blick und ihr Mann sagt dann etwas von einem fernen Steinschlag. Von wegen Steinschlag. Ich fauche gleich noch einmal und nun sieht das Menschenweibchen zu mir hoch. Na wenigstens haben sie jetzt endlich erkannt, mit wem sie es zu tun haben. Ich recke stolz das Kinn. „Ach, das ist nur der Esel. Dem scheint es nicht zu passen, dass wir hier stehen!“ Aber hallo und ob mir das nicht passt. Ihr blockiert hier immerhin meinen Heimweg!
Doch die beiden Menschen haben mich offenbar als ungefährlich eingestuft und machen sich in meinem Tal einen gemütlichen Abend. Dummerweise kann ich tatsächlich nichts anderes tun, als ab und zu wütend zu fauchen und mit meinen Hufen einen Stein ins Tal zu schicken. Natürlich könnte ich auch einen anderen Pfad hinunter gehen. Aber das sehe ich überhaupt nicht ein. Das hier ist mein Weg! Also kann ich meinen ungebetenen Gästen nur dabei zu sehen, wie sie ein Feuer in einer weiteren Blechkiste entzünden und Rippchen braten. Was Menschen bloß an Fleisch finden? Ich würde den knackigen Salat bevorzugen, den die beiden dazu essen. Die Sonne sinkt und es wird rasch dunkel und kühl. Doch auch das stört sie nicht. Sie sitzen am Feuer, reden und trinken irgendetwas. Toll, die haben was zu trinken, während ich hier dursten muss. Dann lassen sie zu allem Überfluss auch noch einen gräslichen Gesang hören, der durch mein Tal schallt. Unverschämt. Als der halbe Mond dann schon hoch am Himmel steht, gehen sie schlafen. Endlich.
Ich warte noch eine ganze Weile. Menschen kann man nicht trauen. Dann beginne ich vorsichtig mit dem Abstieg. Dabei bemerke ich einigermaßen verdrossen, dass die Blechkiste meinen Weg versperrt. Das gibt es doch nicht. Muss ich jetzt etwa doch einen Umweg laufen? Ich zögere. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und gallopiere an der seltsamen Kiste vorbei, sodass die Steine fliegen. Erst als ich die Wegbiegung erreicht habe, bleibe ich stehen und sehe ich mich noch einmal um. Natürlich hat der Menschenmann seine olle Blechkiste genau auf meinen Pfad geparkt. Er hätte auch genau so gut zwei Meter weiter rechts oder links stehen können. Aber nein – er war natürlich nicht bereit auch nur einen Meter abzuweichen. So ein störrischer Esel! Ich schüttele verärgert die Mähe, schnaube noch einmal und wende mich dann mit stolzem Blick ab. So sind sie halt, die Menschen. Was soll man machen? Aber ich lasse mich von denen nicht aufhalten und gehe jetzt einfach zu meiner Quelle, um meinen wohlverdienten Feierabend zu machen!
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