Anne Beadell Highway: 1324 Kilometer, 220 Liter Diesel, 54 Liter Mineralwasser, 45 Stunden Fahrzeit, 12 Kängurus, 10 Kamele, 6 Reparaturen, 2 Dare Eiskaffees, ein Waran und kein anderes Fahrzeug. Len Beadell dankt auf einer seiner Metallplaketten seiner Crew, die die Straße mit ihm 1953-62 erkundet und gebaut hat. Er erwähnt seinen Bulldozerfahrer, seinen Koch, natürlich seine Frau Anne, seine Tochter und seine beiden Hunde Bonnie und Lassie, was irgendwie putzig ist.
Auch wir sind diesen Leuten (einschließlich der Hunde) dankbar, dass sie diesen herrlichen Track geschaffen haben. Eine Woche waren wir jetzt auf dem Anne Beadell Highway unterwegs und haben damit eine der längsten und einsamsten Pisten Australiens befahren. Nun stehen wir schon ein wenig stolz an dessen Ende und fühlen uns beinahe wie jene großen Entdecker, die nach erfolgreicher Mission in die Zivilisation zurückkehren. Natürlich fehlen die Menschenmengen, die die Straßen der kleinen Stadt säumen und uns jubelnd in Empfang nehmen, als wir nach Laverton einfahren. Das macht nichts. Wir feiern uns selbst ein wenig und recken die Fäuste 🙂
Gleichzeitig ist es ein merkwürdiges Gefühl, wieder Häuser, Menschen und Geschäfte um sich zu haben und Teer unter den Reifen. Sicher wirken wir wie merkwürdige Einsiedler, die man aus ihrer Buschhütte gezerrt hat, die jede Kommunikationsform verlernt haben und für die soziale Interaktion die pure Überforderung darstellt. Wir sehen auch bestimmt so aus und Christian möchte schon nach fünf Minuten wieder umkehren. Wir haben auch fest vor, in die einsamen Weiten des Outbacks zurückzukehren, aber wir brauchen zuvor erneut einen Versorgungsstop: Wasser auffüllen, tanken, einkaufen… Außerdem haben wir auf dem Anne Beadell Highway ganz schön viele Federn gelassen, sodass wir auch eine Werkstatt aufsuchen und ein neues Reserverad besorgen müssen.
Um diese Dinge zu erledigen, sind wir aber in Laverton definitiv falsch. Das kleine Nest verfügt zwar über einen winzigen Supermarkt und eine Touristeninformation mit Internet, doch ansonsten herrscht hier am Wochenende tote Hose. Während ich per Internet Autowerkstätten in den nächsten Orten auf unserer Route heraussuche, wird Christian auf der Straße von einem älteren Mann angesprochen. Wie immer beim Australischen Smalltalk wird Christian gefragt, wo wir denn herkommen. „Aus Coober Pedy“, gibt er wahrheitsgemäß zur Antwort. „Ah, aus Warburton“, erwidert sein Gesprächspartner und nickt nachdenklich. Zum Verständnis, Warburton ist ein einsames Roadhouse an der Great Central Road, die wir aber nicht gefahren sind. Deswegen berichtigt Christian den Mann und erzählt, dass wir über den Anne Beadell Highway hierher gekommen seien. Wieder nickt der Mann. „Verstehe. Aus Warburton also.“ Christian stutzt, zögert und weiß nicht, ob er seinen Gesprächspartner jetzt noch einmal korrigieren soll. Dann wiederholt er seine Aussage doch und ergänzt, dass der Anne Beadell Highway ziemlich lang und einsam gewesen sei. Ah, nun scheint die Botschaft endlich angekommen zu sein. Der Alte lacht und plfichtet Christian nickend bei. „Ja stimmt. Die Strecke ab Warburton ist aber auch wirklich schwierig zu fahren…“
Christian gibt es auf und wechselt das Thema. Nun kreist das etwas merkwürdige Gespräch um die Frage, ob es in Newman eine Autowerkstatt gebe. Der Mann legt den Kopf zu Seite und denkt angestrengt nach. „Fahrt doch nach Kalgoorlie“, schlägt er dann vor. „Das ist eine große Stadt.“ Christian muss ihn leider enttäuschen. Kalgoorlie liegt nämlich 300 Kilometer entfernt im Süden, also in der entgegengesetzen Richtung, denn wir wollen nach Norden, nach Newman. Der Mann hört sich Christians Argumentation an, legt den Zeigefinger an sein Kinn und überlegt. Dann fällt ihm offensichtlich etwas ein. Super, vielleicht kennt er doch noch eine Autowerkstatt in der Nähe. Er hebt mit wichtiger Miene den Zeigefinger und holt tief Luft, um dann zu verkünden, dass wir doch nach Kalgoorlie fahren sollen. Dies sei eine große Stadt…
Wir fahren nicht nach Kalgoorlie, sondern verlassen Laverton zügig in Richtung Norden. Die Dame in der Touristeninformation sagte mir, dass Leonora ganz in der Nähe wäre. Vielleicht können wir dort etwas mehr erreichen. Auf meine Frage, wie lange man dorthin brauchen würde, winkte sie nur lässig ab und meinte: „It’s just down the road.“ „Nur eben die Straße runter“ sind dann immerhin 130 Kilometer. Aber für einen Aussie ist das quasi gleich um die Ecke. Wir hoffen, dass Leonora mit seinen 1072 Einwohnern etwas kosmopolitischer daher kommt als Laverton. Umso entsetzter sind wir, als wir in die „Hauptstrasse“ einbiegen. Das heißt, eigentlich besteht dieser Ort nur aus einer einzigen Straße und die wirkt auch noch absolut ausgestorben. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Es fährt auch kein Auto und die meisten der Geschäfte stehen leer. Ihre Schaufenster sind mit Packpapier zugeklebt, die Türen vergittert, die Werbeaufschrift blättert ab. Du liebe Güte. Hier möchte man noch nicht einmal tot über dem Zaun hängen und wenn, dann würde es niemand bemerken. Wo sind sie denn alle, die 1072 Bewohner Leonoras?
Eins dieser seltenen Exemplare treffen wir schließlich an der Tankstelle. Der Mann trägt ein gelbes, fleckiges Muskelshirt, das dringend mal eine Wäsche bräuchte. „He? Left hand drive?“ spricht er mich mit irritierter Miene und ohne große Vorrede an. Ich erkläre ihm, dass es sich bei unserem Wagen um ein Fahrzeug aus Deutschland handelt, das wir hierher verschifft haben. Obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte, schaut er nun noch irritierter drein, schüttelt den Kopf und geht einfach weiter. Es ist ganz offensichtlich, dass er mir kein Wort glaubt.
Da ich aber endlich einen lebenden Einwohner dieser Stadt gefunden habe, laufe ich ihm nach und frage ihn eilig, ob es in Leonora irgendwo Internetzugang gibt. Der Mann bleibt neben seinem Auto stehen und denkt nach. Dabei macht er ganz den Eindruck, als müsse er überlegen, was Internet überhaupt ist. Dann knurrt er etwas Unverständliches, dem ich mit Mühe entnehme, dass er es nicht wisse. „Gibt es denn vielleicht ein Fastfood Restaurant?“ hake ich weiter nach, weil es dort meistens kostenlosen Internetzugang gibt. Mein Gesprächspartner lacht mich aus, als habe ich etwas völlig Absurdes, oder sehr Dummes gesagt. „Leonora ist eine sehr ruhige Stadt“, meint er dann, wirft mir noch einen letzten mitleidigen Blick zu, steigt in seinen Wagen und braust davon. Ich sag’s ja: Wir haben einfach jede Kommunikation mit normalen Menschen verlernt…
Auf dem Goldfields Highway geht es weiter nach Norden. Es ist eine breite Teerstraße, auf der es ab und zu einen einsamen Mülleimer, oder einen Roadtrain mit drei Anhängern gibt, der uns entgegen donnert. Einige Schilder deuten auf Nickel- oder Goldmienengesellschaften hin, ansonsten gibt es hier draußen nichts; nicht ein Haus, keine Menschen, keine Pkws. Stundenlang ist da nur die Teerstraße, der Busch und wir. Meine Güte. Mir war nicht klar, dass Western Australia so einsam ist.
Umso mehr freuen wir uns darauf, nach Wiluna zu kommen. Man soll zwar nicht meinen, dass uns der Names des 200-Seelen-Ortes irgendetwas sagt, aber Wiluna ist uns sehr wohl bekannt. Es ist der Start- bzw. Endpunkt der berühmten Canning Stock Route, der längsten Offroadpiste der Welt! Ich habe mir nicht nur einmal vorgestellt, wie verschwitzte und von den Strapazen der Strecke gebeutelte Männer aus ihren verstaubten Jeeps aussteigen, um in urigen Pubs mit Wildwest-Flair die erfolgreiche Querung der Canning mit einem kühlen Bier zu feiern. Umso größer ist die Enttäuschung, als wir Wiluna erreichen. Dieses Kaff schießt wirklich den Vogel ab, was Trostlosigkeit und Abgeschiedenheit betrifft. Vom Glanz der berühmten Canning Stock Route keine Spur, kein Pub und schon gar kein Flair. Der Friedhof mit den grellen Plastikblumen ist noch der fröhlichste und leider auch lebendigste Ort in der ehemaligen Goldgräberstadt. Dunkle Wolken ziehen über die verlassenen Häuser und die Tankstelle mit den eingeschlagenen Scheiben. Einige Regentropfen fallen. Der verhangene Himmel spiegelt die Stimmung auf Wilunas menschenleeren Straßen ganz gut wieder.
Wollten wir nicht in die Zivilisation zurück, ausführlich shoppen gehen, eine Werkstatt aufsuchen, uns mit Fastfood vollstopfen und endlich mal wieder ein Eis essen? Okay, für ein Eis hat es an der Tanke in Leonora dann noch gereicht, aber ansonsten hat sich zum Anne Beadell Highway absolut nichts verändert: Wir sind hier draußen immer noch mitten im Nichts…
Entdecke mehr von Anderstouren
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Schreibe einen Kommentar