Anderstouren

Jäger und Sammler

Die Pilbara überrascht, nein sie überrennt uns mit ihrem Grün. Es ist so grün, dass es beinahe in den Augen schmerzt. Nach Wochen in der totalen Kargheit und im Staub können wir es kaum fassen, als wir durch Wiesen mit üppigen Büschen, Blumen und vorbei an Flussläufen fahren, in denen tatsächlich Wasser fließt. Hohe „Gum Trees“ mit weißen Stämmen stehen am Ufer und lassen ihre Zweige ins Wasser hängen. Vögel fliegen zwischen den Ästen umher und lassen ihren Gesang hören, der in unseren Ohren fremd und tropisch klingt. Die Landschaft ist hügelig und es erheben sich immer wieder markante Berge aus rotem Gestein, an dessen Flanken das Grün empor klettert. Darüber spannt sich ein blauer Himmel, über den weiße Wölkchen ziehen. Es ist das bunteste und lebendigste Australien, das wir je gesehen haben und man könnte es mit dem Bilby zusammen sofort in einem Kinderbuch abdrucken.

Das viele Wasser bedeutet natürlich auch, dass die Anzahl der Fliegen alle Rekorde sprengt, die wir bisher auf dieser Reise aufstellen konnten. Sobald wir auch nur die Nasenspitze aus dem Auto bewegen, stürzen sie sich zu Hunderten auf uns und wir sind ständig eingehüllt in einen Schwarm aus Summen und Schwirren. Es ist kaum möglich, ein Foto zu machen, auf dem keine Fliege ins Bild gesaust ist. Zurück im Auto nehmen wir die Fliegennetze ab, weddeln, scheuchen und schlagen mit einem Tuch wild um uns, bis alle Fliegen verschwunden sind. Trotzdem kribbeln unsere Gesichter und unsere Haut noch eine ganze Weile weiter…

Zum ersten Mal auf dieser Reise haben wir auch einige kleinere Flussläufe zu queren, da die Creeks, Dips und Floodsways immer häufiger mit Wasser gefüllt sind. Die Durchfahrten sind ein riesen Spaß und geben gute Fotomotive ab. Außerdem sind die Bäche eine herrliche Gelegenheit, um die Füße ins Wasser zu halten und sich ein wenig abzukühlen. Wahrscheinlich ist es schwer, dieses unglaubliche Gefühl nachzuvollziehen und ich muss es wohl erklären. Wochenlang war Wasser etwas unendlich Kostbares, das aus Brunnen zu Tage gefördert und gespart werden musste, weil alles verdorrt und trocken war. Wir müssen stets mit 54 Litern Wasser in unseren Kanistern auskommen und das muss manchmal für eine Woche reichen. Nur am Rande bemerkt: Ein Deutscher verbraucht im Schnitt 121 Liter Wasser pro Tag (!). Jetzt krempele ich einfach meine Hosenbeine hoch und wate durch einen Fluss. Es fließt ständig klares und kaltes Wasser nach, soviel Wasser wie man will. Überwältigend. Wie muss es erst sein, zu Hause wieder den Hahn aufzudrehen?

Die Pilbara ist ein kleines, tropisches Paradies und, man soll es kaum glauben, dennoch völlig unbesiedelt. Wir haben die Canning Stock Route vor drei Tagen mit dem Gefühl verlassen, dass es nun bald in die Zivilisation zurück geht und wir ordentlich einkaufen werden. Doch bislang ist nichts dergleichen geschehen. Über die grandiosen Einkaufsmöglichkeiten in Kunawarritji habe ich ja bereits berichtet. Das knapp 200 Kilometer entfernte Purmu ist jedoch noch schlimmer und ein echter Schock. Diese Gemeinde der Aborigine People hat weniger mit einem Ort als mit einer Müllhalde gemeinsam. Die Straßen, die Häuser, der Spielplatz, die Grundstücke, alles ist herunter gekommen, kaputt und mit Unrat überzogen. Autowracks liegen auf dem Dach und rosten vor sich hin, Mülltonnen sind umgefallen und haben ihren Inhalt vor die Haustür ergossen. Manche Häuser sind halb eingestürzt und scheinen trotzdem noch bewohnt zu sein. Es gibt zwar ein selbst gekritzeltes Schild „Shop“, doch zwischen all den verstaubten Baracken haben wir den Laden nie finden können.

Marble Bar ist der nächste winzige Punkt auf der Landkarte und noch einmal 300 Kilometer entfernt. Selbst nachdem wir unsere Mittagspause dort verbracht und sehr zu unserer Freude auch Pia und Felix noch einmal wieder getroffen haben, können wir es nicht glauben, dass dieses leicht chaotische, Fliegenumschwirrte Roadhouse die einzige Einkaufsmöglichkeit des Ortes sein soll. Im Auski Roadhouse, das wir nach weiteren 200 Kilometern erreichen, dann das gleiche Bild: Der Geldautomat ist kaputt, die Regale sind überwiegend leer und eine Tüte Milch kostet mich knapp fünf Dollar. Du liebe Güte. Irgendwie war mir nicht klar, dass die Canning so abgelegen ist. Wir sind inzwischen völlig abgebrannt und unsere Kühltruhe war noch nie so leer.

Am Abend schlagen wir unser Lager am Ufer einer hübschen Creek und am Fuß eines schroffen Berges auf, den die Abendsonne in ihr warmes Licht taucht. Ich kratze die allerletzten Reste zusammen und brutzele daraus eine Gemüsepfanne mit Salami und Nüssen. Mit der untergehenden Sonne gehen auch die Fliegen schlafen, es wird rasch kühl und die Sterne beginnen über uns zu leuchten. Eigentlich ist es ein Abend wie jeder andere und einer, von denen wir schon viele hier im Busch verbracht haben und trotzdem beschleicht uns ein seltsames Gefühl. Beim Kochen drehe ich mich immer wieder um und auch Christian bewegt sich seltsam vorsichtig zwischen den Sträuchern. Irgendwann schauen wir uns an und sind uns einig, dass wir lieber in der Kabine essen wollen. Wir können es nicht erklären, es ist nur ein Bauchgefühl. Aber darauf sollte man hier draußen wohl besser hören.

Tisch und Stühle sind rasch fortgeräumt, das Essen ist auch gleich fertig und ich decke schon mal in der Kabine den Tisch. Da höre ich, dass Christian draußen hektisch wird. Er reicht mir die Pfanne mit dem Essen in die Kabine, klappt hastig die Außenküche ein, wirft mir den Wasserschlauch und die Spülbürste vor die Füße und springt dann selbst hinein. Was ist denn nur los? Doch dann höre ich sie auch: Dingos heulen aus verschiedenen Richtungen, scheinen uns zu umkreisen.

Christian verschließt mit Nachdruck die Tür und setzt sich kopfschüttelnd an den Tisch. Es ist schon verrückt, welche Instinkte man entwickelt, wenn man seit Wochen von dieser Wildnis umgeben ist. Hier scheinen sich Sinne zu reaktivieren, von denen wir bisher gar nicht wussten, dass wir sie besitzen. Wenn wir dazu gezwungen wären, dann könnten wir hier überleben, könnten uns anpassen, selbst wenn die Kühltruhe und die Wasserkanister leer wären. Wir würden Wasserlöcher finden, Wurzeln und Kräuter sammeln, Jagen gehen und uns rechtzeitig vor den Dingos in Sicherheit bringen. Aber so weit ist es glücklicherweise noch nicht. Morgen erreichen wir Tom Price und dann werden wir hoffentlich endlich wieder einen richtigen Supermarkt von innen sehen…

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