Die Riesenschlange Arkaroo schleppte sich durch eine heiße Wüste. Sie war durstig und als sie auf den Lake Frome stieß, trank sie ihn einfach aus. Mit ihrem vollen Bauch wälzte sie sich weiter über die Ebene und erschuf dabei ein Gebirge. So erzählt es zumindest die Aborigine Legende, die das unvermittelte Auftauchen dieses Bergmassivs aus der flachen Weite zu erklären versucht. Arkaroola ist in der Tat ein schroffes Gebirge, in dessen Flusstälern prächtige Eukalypten von imposanter Größe gedeihen, während felsige Schluchten Wasserlöcher verbergen, zu denen die Tiere nach einem heißen Tag streben. Hier ist die Heimat des „Yellow-footed Rock Wallaby“, einem hübschen Wallaby mit gelben Füßen und einem schwarz-gelb geringelten Schwanz, das munter zwischen den rötlichen Felsen umherspringt.
Genauso haben wir diese kleine Oase mitten im Outback zumindest im Jahr 2015 erlebt und können kaum glauben, was wir heute vorfinden: Der Boden ist karg, es wächst nicht ein Grashalm und die Büsche sind braun und verdorrt. Viele Eukalpten haben Äste in der Größe ganzer Bäume abgeworfen, die nun als totes Holz zu ihren Füßen liegen. Sämtliche Wasserlöcher sind ausgetrocknet. Sie versuchen das Wasser mit Windrädern aus der Tiefe zu fördern, ein Plakat sagt etwas über 170mm Regenwasser pro Jahr und ruft zu Sparmaßnahmen auf. Doch das scheint nicht mehr dem aktuellen Stand zu entsprechen.
„Der letzte Regen ist im Januar 2017 gefallen und in dem Jahr haben wir es trotzdem nur auf 44mm Regenwasser gebracht“, berichtet Vicky, eine der Frauen, die in Arkaroola leben und arbeiten. „Danach hat es gänzlich aufgehört zu regnen und der Regen kam auch nicht mehr zurück. Im folgenden Jahr haben wir viele Kängurus verloren und dann haben wir angefangen, Tränken aufzustellen und sie zu füttern.“ Sie lächelt. „Seither haben wir nicht ein Tier mehr verloren.“
Wir dürfen am Abend mit dabei sein, als Vicky das Abendessen für „ihre“ Wallabys bereitstellt. Die sonst so scheuen Tiere warten sogar bereits auf sie, springen auf die Felsen, fressen, zanken und reden miteinander, sodass Christian seine Sprachkenntnisse noch einmal auffrischen kann. Sie sind unheimlich hübsch gezeichnet mit ihren feingeschnittenen Gesichtern und den geringelten Schwänzen. „Ich konnte sie nicht einfach sterben lassen“, meint Vicky, die ihren Schützlingen lächelnd zusieht. Der angrenzende Nationalpark sieht es nicht gern, dass die Tiere gefüttert werden. Sie haben da strenge Regeln. „Trotzdem schleiche ich mich manchmal rüber“, gesteht sie uns im Flüsterton und mit verschwörerischer Miene, „und stelle etwas Futter hin.“ Sie kennt die Plätze natürlich, zu denen die Kängurus kommen.
Tja, hier scheiden sich wohl die Geister. Es gibt Aufrufe, Tiere zu tränken und Schilder „save the wildlife“. Dann gibt es beinahe dieselben Schilder, auf denen steht „keep wildlife wild!“ Ja, was denn jetzt? Es gibt Australier wie Vicky, die Mitleid mit den verdurstenden Kängurus haben, oder solche wie Mitch, die sich damit brüsten, dass sie gleich in der ersten Woche mit ihrem neuen Auto 14 Kängurus vor der Bullbar hatten. „There are just too many kangaroos!“ Die Aussies scheinen also ein recht gespaltenes Verhältnis zu ihrem Nationaltier zu haben.
Wir fahren über einen Schleichweg, der Arkaroola mit dem Vulkathunha – Gammon Ranges Nationalpark verbindet und den Vicky uns auf der Karte eingezeichnet hat. Es sind lediglich zwei Reifenspuren, die sich über ausgedorrte Anhöhen winden und durch tiefe Creeks. In den trockenen Flussbetten liegen große Felsbrocken und die Wurzeln der mächtigen Eukalpten sind frei gespült. Welche Wassermassen haben sich hier durchgewälzt, um diese Creek zu schaffen? Und wie lange ist das her? Zwei Kängurus springen aus dem Schatten eines Busches hervor. Es sind die grauen Euros mit den großen Ohren. Haben sie die Trockenheit irgendwie überstanden, oder haben sie ihr Überleben nur Menschen wie Vicky zu verdanken?
Ich bin nachdenklich. Soll man die Kängurus füttern, oder einfach nach dem Motto „leben und sterben lassen“ verfahren? Sicher, es hat auch früher schon schlechte Jahre und Dürreperioden gegeben. In diesen Zeiten dezimiert sich dann die Population der Kängurus und bildet die Nahrungsgrundlage für andere Tiere, wie die großen Raubvögel zum Beispiel, die die ganze Zeit am stahlblauen Himmel über uns kreisen. Ist es nicht der natürliche Kreislauf des Lebens, in den wir nicht eingreifen sollten? Andererseits hat sich der Mensch bereits eingemischt, pumpt Wasser ab, oder leitet es um. Dadurch sind die Wasserlöcher der Tiere auch versiegt. Ist es dann nicht unsere Pflicht, ihnen zu helfen?
Am Abend schlagen wir unser Lager in einem einsamen Busch-Camp auf. Natürlich sind wir allein. Ich sitze in meinem Stuhl und betrachte die Berge. Es war hier, als ich mich vor vier Jahren in dieses staubige Stück Erde verliebte. Es sieht auch genauso aus, wie ich es in meinem ersten Blog „Traumland Australien“ beschrieben habe: Die Abendsonne lässt die Bergkette leuchten, nur die Kängurus fehlen.
Wir sitzen lange draußen und sehen zu, wie ein riesiger Vollmond hinter den Bergen aufgeht. Es ist taghell, sodass wir getrost draußen bleiben, die Kühle und die Fliegenfreie Zeit genießen können. Christian macht sich ein kaltes Bier auf, wir reden über Gott und die Welt, diskutieren. Auf einmal hallen Schritte durch die Nacht, die wir beim zweiten Hinhören als Kängurusprünge identifizieren können. Ein Känguru hüpft wenige Meter entfernt an uns vorbei und hält dann unter einem kleinen Baum inne, um uns aus sicherer Entfernung zu betrachten. Dann zieht es weiter auf der Suche nach Nahrung und Wasser. In diesem Moment ist die Entscheidung für mich klar: Noch in der Nacht stelle ich Schalen mit Wasser auf. Was nützt einem schon ein Nationalpark, wenn es keine Tiere mehr darin gibt?
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