Anderstouren

Spaziergang mit Krebsen

Meine Güte. 500 Kilometer haben wir heute schon wieder auf dem Tacho. Trotzdem sind wir auf der Karte nur ein winziges Stück gefahren und gerade weit genug, um von der einen Mini-Stadt zur anderen zu gelangen. Selbst nach knapp drei Monaten, die wir nun mehr in Australien sind, überraschen uns die riesigen Dimensionen dieses Landes immer noch.

Doch ansonsten haben wir uns an vieles gewöhnt. Es fällt uns mittlerweile richtig schwer, die rote Erde und die weißstämmigen Eukalypten als etwas Besonderes anzusehen. Selbst ein Känguru, was sich in den Schatten eines Busches duckt, bringt uns nicht mehr aus der Ruhe. Ist es dann so, dass irgendwann jedes Abenteuer zum Alltag wird? Muss man nur lange genug an einem Ort sein, um ihn als gewöhnlich zu empfinden, egal wie außergewöhnlich er eigentlich ist? Gute Frage und damit drängt sich mir auch gleich der Umkehrschluss auf: Wenn wir nach Hause kommen, werden wir dann einen Laubwald mit offenem Mund bestaunen und völlig aus dem Häuschen geraten, weil auf einer saftigen Wiese Kühe grasen?

Die Heimreise rückt zumindest näher und unsere Gedanken kreisen auf der langen Fahrt öfters um dieses Thema. Es ist doch seltsam. Da haben wir so viel Zeit, benahe unendlich viel Zeit gehabt und dann mache ich einen Werkstatttermin für unser Auto kurz vor dem Rückflug aus und muss voller Überraschung feststellen, dass er bereits in 12 (!) Tagen ist. Mir war wirklich nicht klar, dass uns nur noch so wenig Zeit geblieben ist, weil wir einfach die ganze Zeit völlig zeitlos waren. Ich kann mich auch nur noch dunkel daran erinnern, dass sich in unserem Vorgarten Schneeberge getürmt haben und die erste Aufnahme unserer Kamera zeigt uns beide in dicken Jacken bei Minustemperaturen am Tag vor dem Abflug. Doch ich nehme an, dass es inzwischen Frühling, ja sogar schon fast Sommer geworden ist. Verrückte Sache.

Wellen branden auf den Strand, wirbeln Sand auf und rollen dann schäumend auf unsere Füße zu. 1300 Kilometer sind wir jetzt seit der Canning Stock Route aus dem Landesinneren hierher gefahren, um wieder das Meer zu sehen. Eine abendteuerliche Sandpiste über Dünen und tiefe Löcher hat uns einen wunderbaren, einsamen Platz gleich am Meer beschert. Obwohl in Australien zur Zeit Ferien sind und uns heute einige Wohnwagen und Camper begegnet sind, ist hier draußen niemand. Und so haben den kilometerlangen Strand und die Dünen ganz für uns.

Vom Meer weht glücklicherweise eine frische Brise, denn es ist heiß. 40 Grad zeigte unser Thermometer, als wir hier ankamen und zu allem Überfluss hängt in der Luft eine schwüle Feuchtigkeit, die uns den Schweiß aus den Poren treibt. Bereits nach dem Aufbau des Lagers waren wir wie „aus dem Wasser gezogen“ und deswegen genießen wir es, dass die Sonne nun sinkt und es langsam kühler wird.

Während wir im warmen Abendlicht am Strand entlang schlendern, müssen wir feststellen, dass wir doch nicht so alleine sind, wie wir das gedacht haben. In der Dämmerung kommen überall Krebse aus ihren Sandlöchern. Wenn sie uns bemerken, ziehen sie den Kopf rasch wieder ein und verschwinden in ihrem Loch. Einer traut sich dann doch hinaus, wir nennen ihn Karl. Karl schiebt erst die Scheren, dann den Rest seines quietsch gelben Körpers aus dem Loch heraus. Dann läuft er seitlich auf seinen zahlreichen Füßen und es ist ganz erstaunlich, wie flott er bei dieser Gangart werden kann. Karl scheint recht schüchtern zu sein und eilt schleunigst zum Meer hinab, als auch er uns erblickt. Das ist mir ganz Recht, denn Karl und seine Freunde sind ganz schön groß, ungefähr so groß wie meine Hand und mit ihren Scheren wissen sie sich sicher zu verteidigen. Aber es macht Spaß, ihnen (aus gehörigem Abstand) zu zu sehen, wie sie den Strand hinunter flitzen und dann auf eine Welle warten, um sich ins Meer tragen zu lassen. Sie scheinen sich hier genauso wohl zu fühlen wie wir und so bleiben wir am Strand, bis die Sonne im Meer gesunken ist und ein glühendes Schauspiel für uns an den Himmel zaubert.

Zurück im Camp wundern wir uns darüber, wie rasch die Dunkelheit auf uns herab fällt. Mir gelingt es gerade noch, ein wenig Holz zu sammeln, während Christian die Grube für das Lagerfeuer aushebt. Dann ist es stockdunkel. Mit der Dunkelheit rauscht auch die Temperatur in den Keller. Dabei wird so schnell kühl, dass die irre Feuchtigkeit in der Luft kondensiert und unsere Stühle, den Tisch, das Geschirr und uns mit einer klammen Nässe überzieht, als wären wir in einen Regenschauer geraten. Wir müssen uns erst einmal etwas Trockenes anziehen und alles abwischen, bevor wir uns setzen und unser Gulasch essen können. Das Lagerfeuer und der Whiskey sorgen zudem für etwas Wärme und so lässt es sich gut aushalten.

Nach dem Essen holen wir uns noch die Wolldecken und lehnen uns in unseren Stühlen zurück. Über uns funkelt das Kreuz des Südens und die Milchstraße spannt ihr helles Band über das dunkle Firmament. Die tanzenden Flammen tauchen die wenigen Grasbüschel und die Dünen um uns herum in ein warmes Licht, wir lauschen den Grillen, dem Prasseln des Feuers und dem Rauschen des Meeres. Sonst ist hier draußen nichts. Zumindest glauben wir das, bis es in den Büscheln gleich neben uns plötzlich zu rascheln beginnt. Christian setzt sich abrupt auf und schaltet die Stirnlampe an. Doch er kann nichts erkennen. „Das ist sicher nur eine Maus“, meint er dann und lehnt sich wieder zurück. Doch die Ruhe soll nicht lange währen. Schon raschelt wieder etwas und nun sitzen wir beide senkrecht im Stuhl. Da ist doch irgendetwas. Aber was?

Christian leuchtet die Gräser und die Dünen mit der Lampe ab und dann sehen wir ihn: Karl hat sich zu uns gesellt und heute Nacht scheint er gar nicht mehr schüchtern zu sein. Er krabbelt munter auf uns zu und bleibt dann gleich neben Christians Stuhl im Sand sitzen. Dabei sieht er uns mit seinen seltsamen länglichen Augen an, die er offenbar senkrecht aufstellen, aber auch einzeln zur Seite legen kann!? Ein wenig unheimlich sind sie ja schon, diese Krebse. Trotzdem bietet Christian dem guten Karl etwas von seinem Whiskey an, doch er scheint keinen Whiskey zu mögen. Er trollt sich und nimmt seinen Kumpel gleich mit, der nun auch noch die Dünen hinunter gelaufen kommt. Okay, Zeit das Feld zu räumen, bevor Karl seine große Brüder holt und es hier gleich vor Krebsen nur so wimmelt.

Verrückt. Es vergeht kaum ein Abend, an dem wir nicht von irgendwelchen Viechern Besuch bekommen: Kängurus, Dingos, Spinnen, Riesenkäfer und nun diese Krebse.. „Gute Nacht, Karl. Schlaf gut!“

4 Kommentare

  1. Hallo ihr Lieben !
    Wir freuen uns jedenfalls schon sehr darauf, euch bald wieder in die Arme schließen zu dürfen, stundenlang zu quatschen und Fotos anzusehen. Hoffentlich ist Christian dann genauso spendabel und teilt mit uns seinen Whisky 😉
    Auf jeden Fall wird es uns nicht an Gründen zum Anstoßen mangeln.
    Fühl Euch gedrückt 😘

    1. Wir freuen uns auch auf Euch! Und ob wir anstoßen werden 😉
      Morgen früh fliegen wir..

      @Marco: Vielen Dank, dass Du die ganze Zeit als Notfallperson für uns da warst! Hoffen wir, dass wir Deine Hilfe auch im August nicht allzu sehr brauchen werden ;))

      Alles Liebe
      Sonja und Christian

  2. Hallo Ihr zwei…

    ich freue mich jedes Mal auf eine weitere Episode von Euch. Schade, dass Eure Reise bald zu Ende ist und umso schöner, dass wir uns bald wieder treffen können. Ihr schreibt so spannend und Eure Fotos sind genial!
    Genießt die Zeit da unten und bis bald.

    Ganz liebe Grüße,
    Fabian

    1. Lieber Fabian,
      na, ein paar „Episoden“ kamen und kommen ja noch.. 😉
      Und einen Vorteil hat es ja, dass es jetzt bald heim geht: Wir können uns wieder zum Spieleabend treffen – das geht einmal um die Welt so schlecht 😉

      LG
      Sonja und Christian

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