40 Grad und schwül. Das ist wirklich unmenschlich. Sind wir nicht an die Küste gefahren, um uns von der Hitze im Landesinneren zu erholen und ein paar nette Tage am Meer zu verbringen? Doch es geht nicht. Wir fahren Allaq für eine Mittagspause auf den Strand und sind sofort von unzähligen Fliegen eingehüllt. Sie setzen sich zu hunderten auf unsere Hot Dogs, sodass von dem Brötchen nichts mehr zu erkennen ist und es ganz schwarz vor lauter Fliegen ist. Man kann nicht hinein beißen, ohne das Würstchen um einige Eiweißportionen zu ergänzen. Dabei haben wir den Einsatz des Fliegennetzes inzwischen wirklich perfektioniert: Eine Möglichkeit zu essen und zu trinken besteht darin, das Netz immer wieder anzuheben, oder man trägt das Netz gleich so, dass es nur Ohren, Augen und Nase bedeckt. Das bedeutet dann zwar, dass einem das Gummi schmerzhaft unterhalb der Nase in die Haut schneidet und ganz nebenbei sieht dieser Aufzug auch noch saublöd aus, aber der Mund bleibt frei und man kann (halbwegs) unbehelligt essen. Doch am heutigen Tag nützen all unsere verfeinerten Techniken nichts. Also flüchten wir in das brütend heiße Auto, doch auch dort gibt es Fliegen wie Sand am Meer. In diesem Moment sehnen wir uns zum ersten Mal in unseren Garten, oder an irgendeinen Ort zurück, an dem es keine Fliegen gibt!
Wir fahren den North West Costal Highway weiter nach Süden, der Tag schreitet fort, es bleibt heiß und die Fliegen freuen sich schon auf unsere nächste Pause. „Das sind die Ostwinde“, erklärt mir Judy und wischt sich eine Fliege aus dem Mundwinkel. Sie verwaltet das Campingareal an der Gladstone Bay, auf das wir über eine Schotterpiste zufällig gestoßen sind. Es ist ein bescheidenes Reich: Ein sandiger Platz, ein Toilettenhäuschen und ein babyblauer Wohnwagen, in dem sie und ihr Mann wohnen. „Die Ostwinde?“ frage ich verwundert nach, während ich unseren Obolus entrichte. Judy nickt. „Sie wehen alle Fliegen aus dem Inland zu uns an die Küste. So etwas haben wir hier sonst nicht.“ Ich starre die braun gebrannte Frau mit den schwarzen Locken ungläubig an. Das gibt es doch nicht. Da sind wir hunderte von Kilometern gefahren, um dem staubigen Outback und seinen Fliegen zu entkommen und dann weht uns der Wind die Fliegen einfach hinterher. Das ist doch nicht fair, oder?
Judy lacht, als sie meinen Blick bemerkt. Sie sei gerade zu ihrer Tochter gefahren, die in Karratha lebt. Dort oben sei es auch nicht besser gewesen. „A very bad flies weekend!“ Zur Erklärung: Karratha ist 778 Kilometer und mindestens acht Fahrstunden entfernt. Doch wahrscheinlich ist das wieder nur „down the road“, eben immer den North West Costal Highway hinauf.
„John, the phone,“ kommandiert Judy und ihr Mann bringt ihr sofort gehorsam das Handy aus dem Wohnwagen. Dann schaut sie nach, wie sich das Wetter in den nächsten Tagen entwickelt: Es bleibt heiß und auch der Wind wird erst einmal nicht drehen. Ich lasse resigniert die Schultern hängen. Also ist keine Linderung in Sicht. Judy scheint Mitleid mit mir zu haben (ich muss sehr verschwitzt und erschöpft aussehen) und bietet mir prompt eine Dusche an. Diese befindet sich hinter einem semi-einladenden Wellblechbretterverschlag und ich lehne dankend ab. Stattdessen deute ich auf unser Auto und meine, dass wir selbst eine Dusche und eine Toilette haben, die nebenbei erwähnt, sicher sauberer und komfortabler sind. Judy mustert die seltsame, silberne Kiste auf unserer Ladefläche skeptisch. „Oh, it’s very…“ Sie zögert und sucht offenbar nach dem passenden Wort. „It’s very compact“, meint sie dann und ihre Miene spricht Bände. „Kompakt“ scheint ein netteres Wort für „winzig kleine, enge Hundekiste“ zu sein. Nun muss ich lachen. Unsere kompakte Hundekiste bringt uns immerhin überall hin, wo wir wollen. Und so fahren wir auch jetzt an den riesigen Schlachtschiffen mit ihren ausziehbaren Wohnzimmern und Satellittenschüsseln vorbei, die sich vorne am Eingang knubbeln und eine sandige Piste hinab, wo wir uns weit außer Sicht der anderen Camper direkt ans Meer stellen.
Und dann kommt der beste Moment des Tages, nein, vielleicht sogar der letzten Wochen! Wir werfen uns in unsere Badesachen und stürzen uns ins Wasser. Allerdings ist die Bucht so flach, dass wir eine ganze Weile hinaus waten müssen, bis das Wasser knietief ist. Schließlich setzen wir uns einfach auf den Grund, um richtig nass zu werden. Ist das ein unbeschreibliches Gefühl, komplett von kaltem Wasser umgeben zu sein! Endlich etwas Abkühlung und die Fliegen lassen uns hier draußen auch in Ruhe. Zufrieden und herrlich erfrischt schlendern wir schließlich zurück und sehen der Sonne dabei zu, wie sie sich langsam auf den Horizont herabsenkt. Ihr warmes Licht tanzt auf den kleinen Wellen und taucht in den Himmel in ein sattes Orange. Milliarden kleiner, weißer Muscheln glitzern im Abendlicht, denn anstatt mit Sand ist der Strand hier mit Muscheln überzogen, die bei jedem Schritt unter unseren Füßen knirschen. Es sind so viele, dass man sie niemals alle aufsammeln, oder gar zählen könnte. Seit Jahrmillionen haben sich die kleinen Muscheln hier abgelagert und an manchen Stellen ist die Schicht bis zu 10 Metern tief. Eine hübsche Laune der Natur und eine Besonderheit dieser Gegend.
Am nächsten Tag an der Shark Bay dann das gleiche Bild: Ein weißer Muschelstrand und ein unglaublich türkises Meer und das Beste daran ist, dass wir nur hundert Meter mit Allaq über eine Sandpiste fahren müssen und dann haben wir diesen Traumstrand ganz für uns allein. Wollten wir gestern noch in unseren Garten zurück? Nein, ganz bestimmt nicht…
Entdecke mehr von Anderstouren
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Liebe Sonja,
es macht so viel Spaß euren Blog zu lesen!
Die 100m zum Strand könntet ihr aber auch laufen. 😜
Liebe Grüße Annelie
Ach komm, wozu haben wir denn dann einen Allradwagen ? Wir fahren doch sonst nur Teer 😉 Danke, für Deinen „Hintergrunddienst“ und dass Du die ganze Zeit über uns gewacht hast. Wir sind jetzt in Perth und (wahrscheinlich) safe 😉
LG Sonja und Christian