Anderstouren

Wo sind wir denn hier?

Die Grenze nach Victoria ist unauffällig. Sie ist so unauffällig, dass wir es gar nicht merken, als wir sie überqueren. Wir müssen umdrehen und zurückfahren, um glauben zu können, dass wir tatsächlich gerade eine Grenze passiert haben. Ein schlichtes, blaues Schild heißt uns in Victoria willkommen und ein ziemlich abgeblättertes, verblichenes Exemplar daneben weist uns daraufhin, dass die Einfuhr von Früchten verboten ist, ja Kartoffeln stehen sogar unter Strafe! Keine Quarantäneinspektion, keine grimmig drein blickenden Beamten. Also ein ziemlich lahmer Versuch, mich dazu zu bringen, meine schönen, gerade im Angebot für 2 Dollar gekauften Weintrauben, wegzuwerfen.

Auch die Landschaft ist ziemlich unspektakulär. Rinder grasen auf eingezäunten Wiesen, zur Abwechslung sind es Schafe, im Hintergrund ziehen Nadelwälder vorbei und zur Abwechslung Laubwälder. Also keine Abwechslung. Wir haben 16 Grad und obwohl ich es nie für möglich gehalten hätte, habe ich meine lange Hose, den Pulli und die Jacke hervorgeholt. Ja, wo sind wir denn hier? Bei einem kurzen Stop denke ich wirklich, dass wir nun im Oberbergischen, irgendwo in der Nähe von Wildbergerhütte angekommen sind und prompt setzt auch der Oberberger Landregen ein. Am Straßenrand sitzt ein Känguru. Ach, hör‘ doch auf. Darauf fallen wir nicht herein. Das Vieh ist bestimmt nur aus dem Gehege beim Australischen Restaurant „Outback“ in Lindlar ausgebrochen.

Dieses Mal ist es also nicht die Temperatur, nicht die Landschaft und es sind auch nicht die Tiere, die uns daran erinnern, dass wir noch in Australien sind, sondern die Begegnung mit den Menschen. So zum Beispiel in einem kleinen „Foodland“, einem Supermarkt unterwegs. Ein bärtiger, (wie eigentlich alle Aussies) ziemlich tättowierter Typ steuert auf die Einkaufskörbe zu. Das tue ich auch und als er mich sieht, beschleunigt er seine Schritte. Klar. Er versucht natürlich vor mir bei den Körben zu sein, um sich hektisch noch einen zu greifen, bevor ich den Stapel erreiche. Und wirklich: Er nimmt sich eilig einen Einkaufskorb, um ihn mir dann mit einem Lächeln zu reichen und sich erst danach selbst einen zu nehmen. Ich bin so perplex, dass ich beinahe vergesse, mich zu bedanken. Der junge Typ an der Kasse bietet mir dann doch wahrhaftig an, meine 25 Wasserflaschen zum Auto zu tragen und der nächste lässige Typ (Kaputzen-Tshirt, Kappe, natürlich tättowiert) hält einer älteren Dame die Tür auf. Ja, wo sind wir denn hier? In Australien. Aussies sind höflich, hilfsbereit und freundlich.

Ein anderes Beispiel. Wir halten an einer Filiale der Fastfoodkette „Subway“. Ich habe nicht vor, etwas zu kaufen, ich will nur schnell den neuesten Blog hochladen. Fastfood ist in Australien stets hochpreisig und furchtbar hochkalorisch, ganz egal, ob es sich um die Fußballgroßen, mit Schokoladeüberzogenen, 500 Gramm (!) Donuts, die zu allem Überfluss auch noch mit Creme gefüllt sind, einen schnöden Burger, oder die überall erhältlichen „Pies“ handelt, kleine Kuchen, die meistens eine sehr deftige, aber schmierige Füllung enthalten und nicht unbedingt unseren Geschmack treffen. Allerdings haben all diese Fastfoodläden kostenloses Internet. Deswegen klappe ich den Laptop im eisigen Wind auf der Mülltonne vor der Tür des Subways auf und logge mich eilig ein. Ich habe gerade unsere Homepage aufgerufen, da sehe ich, wie die Verkäuferin hinter ihrer Theke hervorkommt, ins Freie rennt und geradewegs auf mich zusteuert. Mist. Das gibt Ärger. Sie hat mich bestimmt durch die Scheibe hier stehen sehen und mich erwischt, wie ich gerade ihr Internet benutze, ohne etwas zu verzehren. Die Dame spricht mich auch prompt an. Doch anstatt sich aufzuregen, bittet sie mich freundlich hinein. Ich könnte das Internet doch auch im Inneren nutzen. Hier draußen wäre es doch so entsetzlich kalt. Wieder einmal bin ich sprachlos.

Oh nein. Ich habe den (neben erwähnt super leckeren) Double Expresso Eiskaffee hinten in der Kabine vergessen. Ne, so können wir unmöglich weiterfahren. Ohne Kaffee geht auf dieser Strecke gar nichts. Also steige ich an der nächsten Ampel aus und flitze nach hinten. Die Insassen des Autos hinter uns machen große Augen. Klar, bestimmt ärgern sie sich, dass ich jetzt möglicherweise den Verkehr aufhalte und sie wegen mir warten müssen. Also los, Beeilung. Aber ich muss die Kabine aufschließen, hinein klettern und eine Weile in der Kiste kramen. Dazu ist es ziemlich dunkel und ich finde den Kaffee nicht gleich. Das Auto hinter mir blendet auf. Verstehe, sie haben die Geduld verloren. Bestimmt ist die Ampel schon auf Grün gesprungen. Ja, ja, ich bin ja gleich so weit. Hastig steige ich mit dem Kaffee wieder aus und warte schon auf den Stinkefinger. Stattdessen blicke ich in in zwei strahlende Gesichter. Der Fahrer deutet auf den Kaffee in meinen Händen, reckt den Daumen und schaltet dann sein Fernlicht wieder aus. Nicht zu fassen. Er hat gar nicht aufgeblendet, weil er genervt war, sondern weil er mir behilflich sein wollte, damit ich in der dunklen Kabine mehr Licht habe. Wo gibt es denn so etwas?

In Australien. Hier sieht es zwar aus wie im Sauerland, aber wir sind wohl noch auf dem roten Kontinent und zwar auf der Great Ocean Road. Nur von dem „great ocean“ ist weit und breit keine Spur. Bestimmt mehr als die Hälfte dieser berühmtesten aller Straßen Australiens verläuft durchs Gebirge und durch dichten Wald. Wo soll hier bitte das Meer sein? Zudem herrscht auf der winzigen, kurvigen Straße dichter Verkehr. Wohnwagen, Wohnmobile und Mietwagen rollen über die Touristenstrasse schlechthin, jede noch so kleine Haltebucht ist vollkommen überbelegt. Alle fünfzig Meter wird der (ausländische) Fahrer darauf hingewiesen, dass in Australien Linksverkehr herrscht und jedes Schild wird auf Englisch und auf Japanisch (!) angezeigt. Gut, als wir die Küste dann erreichen, ist sie auch wirklich spektakulär. Meterhohe Wellen prallen ungebremst auf markante Felsnadeln im tiefblauen Meer. Die Felstürme „Zwölf Apostel“ sehen genauso aus, wie man sie aus Reiseführern und Bildbänden über Australien kennt. Okay, das muss man mal live gesehen haben. Dafür nehmen wir es auch mit dem Tourismus auf.

Die Aussies scheinen die Great Ocean Road durchaus spannend zu finden. Sicher, in einem Land, in dem oft nur Staub, Hitze und Trockenheit herrscht, sind Wald, Wiesen und dieses Meer bestimmt eine Augenweide. Noch interessanter finden sie allerdings unser Auto und wir überlegen schon, ob wir Eintritt für die zahlreichen Kabinenbesichtigungen an diesem Tag nehmen sollen. So oft wie heute sind wir noch nie auf unseren Allaq angesprochen worden. Der Linkslenker, die Kabine, oder schlicht die Tatsache, dass überhaupt ein Deutsches Auto auf Australiens Straßen herumfährt, sorgt für ein riesen Aufsehen. Das scheint es wirklich kein zweites Mal zu geben. Die Deutsche, die vor drei Jahren nach Australien ausgewandert ist, erfreut sich am Deutschen Nummernschild, der Bauarbeiter holt seinen Kumpel Bert noch dazu, damit er auch mal in den komischen Blechkasten auf der Ladefläche schauen kann und Mitch vergisst glatt das Telefonat, das er gerade mit seinem Handy führt, als er uns sieht. Er springt auf und kommt begeistert auf mich zu. Er habe mir schon gratulieren wollen, dass ich als Frau (!) so zügig in diese Parklücke gefahren sei. Aber dann habe er erst gesehen, dass wir ja einen Linkslenker fahren und doch der Mann eingeparkt habe. Ich schaue ihn verdutzt an und weiß nicht recht, was ich jetzt erwidern soll. Hat Mitch gerade Christians Fahrkünste gelobt, oder mich beleidigt?

Mitch fachsimpelt danach eine Weile mit Christian über die Features unseres Autos (solche Gespräche führt man natürlich nur unter Männern). Bei all diesen Unterhalten wirken die Aussies immer ehrlich interessiert und keine Wartezeit vergeht hier ohne den berühmten Smalltalk. Dabei läuft er nach einem immer gleichen Schema ab und ich frage mich wirklich, ob sie in der Schule wohl einen Kurs anbieten mit dem Titel „How does a successful Smalltalk work?“. Als erstes werden wir grundsätzlich gefragt, wo wir her kommen. Dann geht es weiter mit der Frage nach unserer Aufenthaltsdauer und als drittes will unser Gesprächspartner stets wissen, welche Regionen Australiens wir besuchen werden. Dabei werden die Fragen niemals vertauscht, leicht abgewandelt vorgetragen, oder gar eine Frage vergessen. Nein, alle halten sich sklavisch an das vorgegebene Raster, geben uns noch einen netten Tipp mit auf den Weg und verabschieden sich dann mit dem typischen „have a good one“, hab‘ einen schönen Tag!

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