Christian wirft noch einige trockene Äste in das Feuer, von denen sich die Flammen sofort gierig nähren und höher in den dunklen Nachthimmel schlagen. Drei Tage sind wir jetzt in der Simpson Desert unterwegs und seit wir hier eingebogen sind, haben wir keinen anderen Menschen mehr gesehen. Es ist so still, dass die Stille gegen die Ohren drückt. Da gibt es nur das Prasseln des Feuers und eine einzele Grille, die diese Nacht mit ihrem Zirpen erfüllt.
Sie macht etwas mit einem, diese Einsamkeit, bringt einen an essentielle Fragen, für die es im lauten Alltag einfach keinen Raum gibt. Ich ziehe meine Wolldecke fester um die Schultern und starre in die Flammen, bin nachdenklich. Wir sind hier in einer lebensfeindlichen Umgebung unterwegs, in der wir ohne unser Auto wahrscheinlich keine drei Tage durchhalten würden. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen fühle ich mich viel lebendiger. Gerade weil es hier draußen nahezu nichts gibt, wird das Auge für die wenigen Dinge geschärft, die sich einem plötzlich zeigen und man hört jedes noch so kleine Geräusch: Das Brausen des Windes in weiter Ferne, oder das Rascheln der Zweige in dem Busch dort hinten. War es etwa ein Dingo?
Es ist beeindruckend. Sämtliche Probleme, die uns sonst den lieben langen Tag beschäftigen, treten hier völlig in den Hintergrund, denn wir müssen uns auf einige wenige Fragen konzentrieren: Wo schlagen wir unser Lager auf? Gibt es dort Feuerholz? Haben wir noch genug Trinkwasser und werden die Vorräte reichen? Hier draußen werden wir auf die Essenz des Lebens fokussiert und seltsamerweise sind wir damit völlig zufrieden. Ja, unser Tag ist vollkommen ausgefüllt und ich frage mich ernsthaft, was wir sonst die ganze Zeit machen, wenn wir kein Holz sammeln und ein Lagerfeuer entzünden.
Dieses Leben hier berührt eine tiefe Sehnsucht, die in uns verborgen schlummert und ich würde mutig behaupten, dass es nicht nur uns so geht. Vielleicht wünschen wir uns manchmal ein einfacheres Leben, das nur um unser Überleben kreist und nicht um die komplizierten Verstrickungen, die uns normalerweise in Atem halten. Möglicherweise müssen wir sogar zu unseren Wurzeln zurück, um uns selbst begegnen zu können. Wo sollte diese Reise auch sonst hinführen? Hier draußen gibt es ja nichts, außer der Stille, der Einsamkeit und jede Menge Sand.
Das Feuer brennt langsam herunter, Christian spielt Low-Whistle. Auch er ist nachdenklich, zumindest sagt mir das seine traurige Melodie. Kommt jeder, der so lange fort ist, irgendwann an diesen Punkt? John Lewis schien es seiner Zeit zumindest ganz ähnlich gegangen zu sein. 1885 errichtete er mit seiner Familie am Rand der Simpson Desert eine Farm, die damals nördlichste und isolierteste Schafsfarm South Australias. Unter der brennenden Sonne des Outbacks errichtete er zusammen mit seinem Sohn Essington Häuser und Stallungen, fertigte die nötigen Werkzeuge an. Neben den Schafen verzuchte er sich in der Pferde- und Kamelzucht und pflanzte Dattelbäume an. Trotz seiner Ideale zwangen ihn die harschen Lebensbedingungen und die anhaltende Dürre schließlich zur Aufgabe. 1914 schrieb er in sein Tagebuch: „Die Einsamkeit und die depremierende Atmosphäre an diesem Ort bringen gestandene Männer dazu, sich hinzusetzen und wie Kinder zu weinen…“
Heute zeugen noch einige Ruinen und Palmen von seinem Lebenswerk und von seinem Wunsch in der Wüste heimisch zu werden. Wir können ihn schon verstehen, denn auch uns hat die Wüste fasziniert. Deswegen genießen wir sie noch einmal, die einmalige Atmosphäre dieser Nacht in der Simpson Desert. Denn Morgen werden wir sie verlassen und die Reise wird weitergehen…
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