Anderstouren

Das letzte große Abenteuer

Heute ist es so weit: Wir fahren nach Steep Point! Ein wenig aufgeregt bin ich deswegen schon. Steile Dünenkämme und ich, wir werden auf dieser Reise keine Freunde mehr. Doch zunächst wird unsere Fahrt dadurch verzögert, dass die Schlauchdurchführung unserer Wasserpumpe einfach abbricht. Oh mann. Was uns schon alles kaputt gegangen ist: Griff der hinteren Klappe klemmte, Zelt eingerissen, Schutzblech an der Tür abgefallen, Regal ausgerissen, Tabletthalter abgebrochen, Elektrik vorne defekt… Diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen und wir müssen wieder eine Reparatursession einlegen. Christian bastelt aus dem Entlüftungsstutzen eine neue Durchführung und aus der alten macht er eine Entlüftung und so funktioniert unsere Wasserleitung auf wundersame Weise schließlich wieder.

Gegen Mittag kommen wir dann los. Effektiv muss man sagen, dass die gestrige Suche nach dem Campingplatz und die Fahrerei in den Dünen von False Entrance schwieriger zu fahren war als die Strecke nach Steep Point. Lediglich zwei Kilometer sind etwas haarig. Allaq wühlt sich durch den tiefen Sand und springt auf den Wellen wie ein Känguru. Der Rest des Tracks ist aber bis auf etwas Wellblech kein Problem.

Wenig später fahren wir bei der Ranger Station vor und melden uns, wie besprochen. Der ältere Mann, dem einige Zähne fehlen und dessen Hemd dringend eine Wäsche bräuchte, stammt aus England und arbeitet jetzt seit 11 Jahren hier als Ranger. Er wirkt, gelinde gesagt, etwas verschroben. Aber wer würde auch sonst hier draußen derart lange die Stellung halten, 500 Kilometer vom nächsten Zahnarzt entfernt? Nachdem wir die Formalitäten erledigt haben, frage ich noch einmal nach dem Campingplatz am False Entrance. Irgendwie lässt mir das ja doch keine Ruhe. Dieser Ranger hier wacht schließlich über diesen Nationalpark und sollte doch wissen, wo sein Campingplatz zu finden ist. Der Engländer lacht und zeigt dabei seine Zahnlücken. „Ne, den könnte man auch nicht finden.“ Ich bin einigermaßen verdutzt über diese Antwort und sehe ihn fragend an. Daraufhin erklärt er, dass es dort unten einfach zu viele Wege gäbe. Er habe der Nationalparkverwaltung schon mehrfach deswegen geschrieben, aber es passiere einfach nichts. Vor sechs Monaten habe er zudem Nummern angefordert, um die Stellplätze endlich mal zu beschriften. Aber auf die Sendung warte er immer noch. Die Nummerierung am Steep Point wolle er auch dringend ändern. Aber er habe ja ohnehin keine Schilder…

An dieser Stelle frage ich besser genauer nach, denn ich möchte unsere heutige Übernachtungsmöglichkeit nicht noch einmal stundenlang suchen müssen. Das mit den Campingplätzen scheint hier draußen irgendwie schwierig zu sein. Daraufhin erfahren wir, dass die Plätze am Steep Point von rechts nach links nummeriert seien, also von 5 bis 1, was per sé schon etwas kurios ist und ich mache sicherhaltshalber ein Foto von einer abenteuerlichen Skizze voller Fett- und Kaffeeflecken, die mir der Ranger über den Tresen schiebt.

Mit dem Foto in der Tasche fahren wir die letzten Kilometer bis Steep Point. Nachdem wir nun bereits im geographischen Zentrum des 5. Kontinents gewesen sind, müssen wir doch auch den westlichsten Punkt Australiens gesehen haben. Ansonsten, das muss man leider sagen, ist Steep Point eigentlich enttäuschend. Wo sind sie denn, die sturmumtosten Klippen? Nicht einmal das Meer können wir hinter der weitauslaufenden Landzunge richtig erkennen und es ist einfach nicht schön hier.

„Nicht schön“ wäre allerdings für den darunter liegenden Campground die vollendete Untertreibung. Ich bin froh, dass ich die Skizze abfotographiert habe, denn ansonsten hätte ich es wahrscheinlich nicht glauben können, dass wir hier allen Ernstes übernachten sollen. Vor uns liegt eine völlig freie, windexponierte Fläche auf einem staubigen Plateau über den Klippen. Hier gibt es nichts Schönes und ich werde unmittelbar an Szenarien aus irgendwelchen düsteren Schmuggler- oder Piratenfilmen erinnert. Die Klippenränder sind durchzogen von tiefen Spalten und Löchern, sodass man sich im Dunkeln nicht einen Meter vom Auto wegbewegen kann. In den Löchern steht zudem grünliches Brackwasser, das sich bei der Hitze in eine stinkende Kolake verwandelt und man ständig schauen muss, wo man hintritt. Die ausgewaschenen Höhlen in den Felsen zur Linken sind allesamt ausgebrannt und voller Überreste der Lagerfeuer unserer Vorgänger. Es riecht nach Urin und Fischabfällen. Kaputte Eimer, Zigarettenstummel, Plastiktüten, Angelhaken und -schnüre, Coladosen und sonstiger Unrat liegt überall herum. Der Platz ist quasi von Müll übersät, in dem mausgroße Kakerlaken umherkrabbeln…

Wir verbringen den Abend in der Kabine. Der Sturm reißt an unserem Zelt und Allaq schaukelt die ganze Nacht, als wäre er auf hoher See. Wie kann man hier freiwillig fünf Wochen verbringen, wenn man nicht einer älteren Dame die Handtasche entwendet hat und deswegen von einem Gericht dazu verdonnert wurde? Dieser „Campingplatz“ verdient wirklich den Namen nicht und sollte schon gar nicht hochtrabend in einem Buchungssystem aufgeführt werden, egal ob von 5-1 oder von 1-5. Die Nummerierung, die dem Ranger so viel Kopfzerbrechen bereitet, ist sicherlich nicht sein größtes Problem.

Zuytdorp Cliffs

Als wir am nächsten Morgen den Nationalpark auf seinen sandigen Tracks erkunden, muss man zu seiner Ehrenrettung fairerweise sagen, dass wir sie schließlich doch noch finden: Die steil abfallenden Klippen, die tiefen Felseinschnitte, in die das Meer schäumend brandet und die windumtosten Aussichtspunkte, um die die Möven kreischend kreisen. Besonders beeindruckend sind die „Blowholes“, von denen es an dieser Küste einige gibt. Dabei handelt es sich um irre tiefe Löcher im Fels, die bis zum Meer hinab reichen und durch die der Ozean fauchend Wasser schickt. Sie wirken wie kleine Geysire, dabei spucken sie nur die Wellen aus, die die Brandung in ihren Schlund treibt. Die nächste Fontäne kündigen sie erst mit einem tiefen Grollen an und dann lassen sie ein erregtes Fauchen hören, das auch von einem Ungeheuer in den Untiefen dieser Schächte stammen könnte.

Blowhole an der Thunder Bay

An der Shelter Bay gibt es auch den weißen Traumstrand mit seinem türkisem Wasser und den kleinen Wellen, auf denen die Abendsonne golden glitzert. Die sanften Wogen haben zudem hunderte von Seesternen angespült, die nun in weiß, rosa und lila Tönen und in jeder erdenklichen Größe den Strand überziehen. Insofern haben wir letztlich doch alles gefunden, was uns versprochen wurde. Nur eines finden wir hier nicht mehr: Einsamkeit. Der Campingplatz an der Shelter Bay ist nämlich brechend voll und bis auf den letzten Platz ausgebucht. Und wie sollte es anders sein? Auch mit dem dritten Stellplatz im Edel Land Nationalpark gibt es Probleme. Als wir dort ankommen, müssen wir nämlich feststellen, dass er bereits besetzt ist. Der junge Mann hatte eigentlich einen Platz auf dem Campground am Steep Point gebucht, doch dort habe er nicht bleiben wollen. Ach ja? Warum bloß? Bedröppelt baut er sein Zelt wieder ab und macht Anstalten das Feld zu räumen, doch das können wir nicht mitansehen. Also bieten wir ihm an, unseren Stellplatz mit ihm zu teilen. Nach Steep Point kann man, wie gesagt, nur einen Handtaschendieb verbannen und so sieht der junge Mann nicht aus.

Seesterne in der Shelter Bay

Als wir bald darauf unsere Steaks auf den Grill werfen und etwas wehmütig das letzte Bier in den Stubby Cooler schieben, wird uns klar, dass wir uns Morgen auf den Rückweg nach Perth machen werden und dass unsere großartige Reise damit endet. Doch wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, dann haben wir uns schon viel länger verabschiedet. Eigentlich hat diese Reise geendet, als wir die Canning Stock Route verlassen haben. Was sollte danach schon noch kommen? Denn schließlich war die Canning unser letztes großes Abenteuer!


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