Anderstouren

Der versunkene Campingplatz

Mit Macht donnern die Wellen auf den Strand. Das ungezähmte Meer prallt schäumend gegen die Klippen, die diesen Kräften stoisch seit Jahrtausenden trotzen. In der Luft hängt ein blasser Dunst von Feuchtigkeit, der die Felsen in der Ferne in ein Nebelband hüllt. Muscheln, größer als meine Hand, liegen wie kleine Schatztruhen im Sand und glitzern verheißungsvoll in der Sonne. Möwen stürzen sich kreischend auf die Wellen hinab und streiten um den besten Platz an diesem Traumstrand…

Muscheln, größer als meine Hand..

So wird es beschrieben: Das letzte große Abenteuer dieser Reise – Steep Point. Wir haben schon viel vom westlichsten Punkt Australiens gehört und viele Reisende nannten ihn das Schönste, was sie auf dem 5. Kontinent gefunden haben. Ja, manch einer ist sogar gleich fünf Wochen dort geblieben! Die Erwartungen sind also entsprechend hoch. Die Besucherzahlen wären es sicher auch, wenn diese Gegend nicht nur über winzige, schwer zu befahrende Sandpisten erreichbar wäre und die Reisenden durch die wenigen Stellplätze im Edel Land Nationalpark begrenzt würden. Wir gehören zu den wenigen Glücklichen, die ein Permit für drei Tage ergattern konnten. Obwohl wir uns ziemlich spontan dazu entschlossen haben, buche ich stolz den Platz Nummer 3 von fünf auf dem Campingplatz, den letzten Platz an diesem Tag.

Im Overlander Roadhouse telefoniere ich dann mit dem Ranger. Allen Reisenden in diesen verlassenen Zipfel wird empfohlen, sich anzumelden und nach geglückter Querung der steilen Dünenkäme auf dem Weg nach Steep Point in der Ranger Station Bescheid zu geben, dass sie einen nicht aus dem Tiefsand ziehen müssen. Der Ranger meldet sich nicht mit seinem Namen, oder mit seiner Funktion. Ich höre nur ein knappes: „Steep Point“ und kündige uns für Morgen Nachmittag an. Bis nach Steep Point sind es 180 Kilometer und wir wollen zuvor noch den „False Entrance“ besuchen. Aber hier im Roadhouse ist das letzte öffentliche Telefon, das ich noch erreichen kann und deswegen melde ich mich jetzt schon. Der Ranger ist freundlich und gibt mir noch ein paar Tipps mit auf den Weg: Wir sollen den Reifendruck gleich auf 18 Psi absenken und nicht nur auf 20, denn sonst würden wir bestimmt stecken bleiben… Nicht unbedingt beruhigend.

Wir machen uns mit zig Wohnwagen, Wohnmobilen und anderen Gespannen auf den Weg. An der Shark Bay knubbeln sich die Touristenattraktionen und gipfeln im Monkey Mia Resort; einem Hotelkomplex, in dem wilde Delphine zur Freude der Touristen angefüttert und zu allerlei Kunststückchen animiert werden. Also definitiv nicht unsere Welt. Deswegen sind wir froh, als wir von der Anonymität der Touristentauglichen Teerstraße abbiegen und wieder Schotter unter den Reifen haben. Die entgegen kommenden Fourwheeler heben den Zeigefinger und grüßen uns auch wieder freundlich. Schon besser.

An der Abzweigung zum „False Entrance“ lassen wir dann tatsächlich den Reifendruck noch weiter ab, wie es uns der Ranger empfohlen hat. Das ist auch gut so, denn nun besteht das Sträßchen tatsächlich nur noch aus einer Spur im tiefen Sand, die sich abenteuerlich über die Dünen windet. Die Piste heißt deswegen „False Entrance“, weil sie früher oft fälschlicherweise für die südliche Passage zum Steep Point gehalten wurde. Wir wissen eigentlich, dass wir richtig sind. Immerhin habe ich hier einen Campingplatz für heute Nacht gebucht. Aber leider finden wir ihn nicht. Wir fahren die gesamte Landzunge ab und halten verzweifelt nach einem Schild „Campground“, oder nach der Nummer 3 Ausschau. Leider ohne Erfolg und dabei ist es wahrlich kein Spaß in dieser Gegend umher zu irren. Es ist ja nicht so, als würde man die Biegenstraße auf der Suche nach der Marburger Stadthalle auf und ab fahren. Unzählige Tracks verzweigen sich in sämtliche Richtungen, enden manchmal abrupt an einer steilen Düne, oder sind plötzlich zugewachsen. Dann müssen wir mit halsbrecherischen Manövern im tiefen Sand drehen und den nächsten Weg ausprobieren, der uns wieder in die nächste Tiefsand Misere führt…

Am Ende landen wir auf dem Strand, wo wir das Auto resigniert abstellen. Wir studieren unsere Karten, doch das Kartenmaterial dieser Gegend ist die pure Katastrophe. Sowohl unser Hema-Atlas, als auch das Trackbook und die Karte des Nationalparks zeigen die Landzunge am False Entrance auf einem Quadratzentimeter. Der Campingplatz ist überhaupt nicht eingezeichnet und scheint einfach verschwunden zu sein. Hier draußen ist natürlich auch niemand, den wir fragen könnten. Also beschließen wir einfach hier am Strand zu bleiben. Zugegeben, es ist ein ziemlich schöner „Notplatz“. Es ist deutlich kühler geworden und der Südwind hat die Fliegen vertrieben. Den ganzen Abend schauen wir in aller Ruhe der wilden Brandung zu, sammeln Muscheln und gehen spazieren, während die Sonne im Meer versinkt…

False Entrance Beach

Über uns funkeln unzählig viele Sterne und unsere Lammwürstchen bruzeln gerade in der Pfanne, als uns das wilde Heulen eines Motors verrät, dass sich gerade ein Auto durch den tiefen Sand wühlt. Respekt. Bei Dunkelheit würde ich noch weniger durch die Dünen fahren wollen. Kurz darauf kommen tatsächlich Scheinwerfer in Sicht. Ein Jeep schlingert über den Strand, fährt an uns vorbei und hält dann ungefähr fünfzig Meter entfernt gezwungenermaßen, weil er einfach stecken bleibt. Doch die Aussies stört das wenig. Sie packen im Schein ihrer Stirnlampen die Angeln aus und widmen sich dem Brandungsangeln.

Einige Zeit später, wir haben die Lammwürstchen gerade aufgegessen, rangieren sie ein wenig und fahren mit einem lässigen „good night“ wieder an uns vorbei. Da es hier draußen außer den Sternen keine andere Lichtquelle gibt, ist es leicht, ihre Scheinwerfer in der Dunkelheit zu verfolgen. Wir sehen unseren nächtlichen Besuchern eine ganze Weile zu, wie sie orientierungslos durch die Dünen irren. Rücklicher leuchten auf, sie setzen zurück, fahren denselben Weg noch einmal und scheinen genau wie wir den Campingplatz nicht zu finden. Okay. Wenn sogar die Einheimischen diesen mysteriösen Campground nicht aufspüren können, dann muss er tatsächlich versunken sein. Vielleicht ist er nur eine Legende wie Atlantis, oder ein Taucher wird eines Tages ein kleines, verrostetes Schild mit der Nummer 3 aus den Fluten ziehen…

Na egal, wir schlafen am Strand und zum Tosen der Wellen ganz hervorragend. Außerdem können wir am nächsten Morgen zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder draußen frühstücken. Der Wind hat gedreht und die Fliegen vertrieben. Wir sitzen am Strand und genießen unseren Kaffee, als ein Jeep vorfährt. Ich nutze die Gelegenheit und frage die beiden Männer, wo denn hier der Campground sei. Sie arbeiten in der nah gelegenen Salzmiene und kennen sich hier gut aus. Der Ältere der beiden lacht und zuckt die Schultern. „Wozu willst Du das wissen? Ihr habt doch einen tollen Platz gefunden.“ Der Mann scheint mein Problem nicht zu verstehen. Ich bin auf der Suche nach einem verschwundenen Campingplatz, den ich ganz nebenbei gebucht und bezahlt habe. Das kann doch nicht angehen! Also frage ich noch einmal nach. Er rückt seinen kakifarbenen Cowboyhut zurecht, an den er eine weiße Feder gesteckt hat und lacht wieder. „Warum ist das so wichtig? Stellt Euch doch einfach irgendwo hin. Australia is a free country!“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.