Anderstouren

Die Ruhe nach dem Sturm

Alice Springs ist mit 27.000 Einwohnern das einzige, was man im Herz Australiens als Stadt im eigentlichen Sinn verstehen kann. Es gibt alles zu kaufen, was man so braucht. Sogar das durchgeschmorte Ladekabel unserer Kamera, das die Temperaturen in der Simpson Desert nicht überlebt hat, bekommen wir hier auf Anhieb. Eine Schönheit ist sie allerdings nicht, die gute Alice, wie die Stadt kurz von den Aussies genannt wird. Sie ist ein Versorgungszentrum für eine Gottverlassene Gegend und Auffangbecken für alle, die sonst nirgendwo einen Platz im Leben finden. Adelaide und Darwin liegen je 1500 Kilometer entfernt und wenn man hier nicht gesehen, oder gefunden werden will, dann wird man das auch nicht.

Der Anteil der Aborigines liegt in Alice bei knapp 20 Prozent. Zum Vergleich, in Adelaide sind es nur 2 Prozent. Zumindest auf Alice Straßen sehen wir die Ureinwohner Australiens oft in schlechter Kleidung, betrunken und in einem ungepflegten Zustand. Manchmal starren sie nur mit leeren Blick vor sich hin und machen auf uns irgendwie einen orientierungslosen, entwurzelten Eindruck. Wenn sie querfeldein am Ufer des Todd Rivers entlang trotten, anstatt den Bürgersteig zu benutzen, oder in Gruppen auf einem Stück Wiese direkt neben dem Highway sitzen, wird in meinen Augen immer wieder deutlich, dass man ihnen die Lebensgrundlage geraubt hat und dass sie noch lange nicht in der Welt der Weißen angekommen sind, aber auch nicht in ihre eigene Kultur zurückkehren können. Eine vertrackte Situation. Es kommt immer wieder zu Polizeieinsätzen, die Presse spricht von 80 bis 100 „Gesprächen“ der Polizei mit Aborigines pro Tag. Arbeits- und Obdachlosigkeit sowie Alkoholismus sind hier echt ein Thema.

Aber es ist nicht nur die indigene Bevölkerung, die im Stadtbild auffällt. Sind die Weißen keine Touristen, die mit ihren Fotoaperaten über die Todd Mall laufen, dann tragen auch sie zerlumpte Kleidung, riechen nach Schweiß. Am Pub fallen uns zwei bezeichnende Schilder auf: „No Shirt – No Service“, „No Shower – No Service“. Alice scheint ein Sammelbecken für schräge Gestalten und Aussteiger zu sein. Der hagere Althippie im Blümchenhemd und mit wehendem Haar ist nur ein Beispiel für die seltsamen Leute, die sich hier tummeln. Alice Springs wirkt wie das Ghetto Australiens und sie ist die einzige Stadt des Landes, vor der das Auswärtige Amt warnt. Es komme immer wieder zu Übergriffen, man solle in der Dunkelheit Vorsicht walten lassen und nur auf bewachten Campingplätzen übernachten. Alice ist also nicht gerade ein Ort, an dem sich gerne und lange aufhalten möchte.

Der zweite Punkt, vor dem das Auswärtige Amt warnt, sind allerdings die Wirbelstürme Australiens und deswegen sind wir schließlich hier. Alice Springs war genau der richtige Ort, um den Kopf einzuziehen und zu warten, bis sich Trevor ausgetobt hat und das hat er: Alle Straßen östlich von Alice sind überflutet und gesperrt. Der Binns Track, über den wir vor dem Zyklon geflüchtet sind, stand am nächsten Tag bereits unter Wasser und war damit unpassierbar. Stellenweise sind 300mm Regen runter gekommen, dreimal so viel, wie erwartet und wie hier sonst im ganzen Jahr fällt. Die Behörden sperren Straßen, warnen vor den überfluteten Gebieten und weisen die Bevölkerung an, wie sie sich zu verhalten hat: Selbst Sandsäcke füllen, sich von den Fluten fernhalten und auf überschwemmten Straßen nur in der Mitte fahren (!)…

Wir haben es also wirklich gerade noch so in die Stadt geschafft. Hier sortieren wir uns neu, checken die Lage. Stundenlang brüten wir über unserem „Hema 4×4 Atlas“ und den Karten, während der Wind immer wieder unsere Notizen vom Tisch fegt. Letztlich ist der weitere Weg klar: Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns jetzt schon nach Westen zu orientieren. Dort warten die Goldfields und das einsame Outback Western Australias auf uns.

Heute Morgen ist die Luft klar und kühl und ich habe mir eine Wolldecke um die Beine geschlungen. Doch hinter den Palmen geht bereits die Sonne auf und wird wieder die vertraute Hitze in den Wüstenort zurückbringen. Ich drehe mich um und sehe der Sonne zu, wie sie den Himmel zurückerobert. Da höre ich mehrere Dingos heulen, die den Morgen ebenfalls zu begrüßen scheinen. Gleich hinter mir liegt sie also, die Wildnis und dorthin zieht es uns nun auch wieder zurück…


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