Es war einmal ein Geschwisterpaar. Die beiden waren richtige Wirbelwinde, jagten lachend über den Himmel und spielten mit den Wolken, die sie dort fanden. Eines Tages stießen sie auf eine große, rote Insel. „Sieh‘ nur, Trevor“, rief Veronica. „Ich sehe es“, antwortete ihr Bruder, nahm sie bei der Hand und wollte sie gen Osten ziehen. „Lass‘ uns an die Ostküste fliegen. Dort geht die Sonne auf. Das will ich mir ansehen!“ Doch Veronica riss sich von ihm los und deutete in die andere Richtung. „Ich will aber in den Westen. Sonnenuntergänge sind viel schöner.“ Die Geschwister konnten sich nicht einigen und gerieten darüber derart in Streit, dass Trevor schließlich allein in den Osten ging, während Veronica voller Zorn in den Westen fuhr und dort alles zerstörte, was sie vorfand. Trevor war hingegen bald sehr einsam. Ohne seine Schwester wollte er den Sonnenaufgang an der Küste auch nicht erleben. Enttäuscht und gekränkt zog er sich in die Wüste zurück, wo er einige Tage umher irrte und seinen Tränen freien Lauf ließ. Hier konnte er wenigstens keinen Schaden anrichten, hier draußen war schließlich niemand…
Irgendetwas ist anders. Ich schlage die Augen auf und sehe mich irritiert um. Stimmt. Heute Morgen dringt kein gleißendes Sonnenlicht durch die Fenster, obwohl die Sonne bereits aufgegangen sein muss. Ich richte mich auf und schaue hinaus. Doch an diesem Morgen gibt es keine Sonne. Stattdessen türmen sich im Osten finstere Wolkenberge auf, die sich uns bedrohlich nähern. Ich bin sofort auf den Füßen, wecke Christian und wir bauen im wahrsten Sinne des Wortes in Windeseile das Lager ab. Trevor ist näher, als wir denken.
Über Wüste liegt eine angespannte Stille. Alles scheint den Atem anzuhalten und darauf zu warten, was sich da im Osten zusammenbraut. Ein energiegeladenes Vibrieren liegt in der Luft. Christian hält das Steuer fest und tritt auf das Gas. 380 Kilometer Piste liegen noch vor uns, bis wir Alice Springs erreicht haben. Dabei richten sich unsere Blicke immer wieder nach rechts. Die Wolkenberge verdichten sich, bilden einen Wirbel, in dessen Zentrum ein heller Fleck leuchtet. Ich habe so etwas noch nie gesehen und bin besorgt und fasziniert zugleich. Durch das offene Fenster braust ein irrer Wind, der nichts mit unserer Geschwindigkeit zu tun hat. Trockene Äste rollen über den Weg, manchmal liegen auch Bäume quer, die wir umfahren müssen. Was kommt da auf uns zu?
Der Wirbel wird dunkeler, bedrohlicher und wir sind heilfroh, als der Track nach Norden abbiegt und uns von diesem Wetterphänomen wegbringt. Wir haben gerade noch genug Zeit, um einige Kilometer zwischen uns und den Sturm zu bringen. Dann können wir aus der Ferne zusehen, wie der Himmel die Schleusen öffnet und eine Sturzflut aus dem Wirbel herausbricht. Wenig später hängt eine schwere, warme Feuchtigkeit über der Wüste, die einem den Schweiß aus den Poren treibt. Es ist, als würde man die Schwimmhalle eines Thermalbades, oder eine überhitzte Umkleide betreten, in der gerade eine Fußballmannschaft geduscht hat. Irgendwo dort drüben hat Trevor bereits zum ersten Mal zugeschlagen. Ich fahre mit dem Finger über Karte, versuche abzuschätzen, welche Region es getroffen hat. Mein Finger bleibt über der French Line stehen. Dave hatte Recht. Es war keine gute Idee, in diesen Teil der Simpson Desert zu fahren und wir können nur hoffen, dass die beiden Männer letztlich doch auf ihn gehört haben.
Für uns beginnt nun ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Lauf des Tages bilden sich immer wieder Regenwolken, die sich über den Bergflanken gleich neben unserer Route ergießen. Dabei hoffen wir jedes Mal, dass es nicht unsere Piste erwischen mag. Noch ziehen wir eine rote Staubwolke hinter uns her, noch. Doch wir fahren hier auf nichts anderem als zu Staub zerriebenem Schlamm. Unter unseren Reifen befinden sich also Unmengen eines Pulvers, das nur darauf wartet, etwas Wasser zu bekommen und sich zu einer besitzergreifenden, alles verschlingenden Masse zu vermischen, die alles festhält, was so dumm ist, sich in ihre Fänge zu begeben.
Am Ende ist das Glück aber auf unserer Seite. Wir erreichen die Teerstraße und Alice Springs, ohne einen einzigen Wassertropfen auf der Windschutzscheibe gehabt zu haben. Dort mieten wir uns auf einem Campingplatz ein, auf dem sich zur Not auch ein Unwetter gut aushalten lässt. Wir haben die Gelegenheit, die Wäsche zu waschen, das Auto vom Bulldust zu befreien, das ein oder andere zu reparieren, oder einfach nur im Pool zu planschen, was nach der Hitze und dem Staub echter Luxus ist.
Trevor zieht in der folgenden Nacht an Alice Springs vorbei, schickt einige Regengüsse über die Stadt und rüttelt an unserer Kabine. Am nächsten Morgen ist der Regen das Gesprächsthema Nummer 1. Man hört es überall, im Supermarkt, an der Straßenecke und auf dem Campingplatz. Michelle, die hier an der Rezeption arbeitet, meint, dass sie sich schon gar nicht mehr an den letzten Regen erinnern könne und eilt begeistert ans Fenster. Ein Schauer ist hier eine Sensation. Ansonsten verschont Trevor die kleine Wüstenstadt, während der zweite Zyklon „Veronica“ im Westen wütet und dort tatsächlich einigen Schaden anrichtet. Wer weiß. Vielleicht vertragen sich die Geschwister nach ihrer Reise über die rote Insel ja wieder und wir müssen dank ihnen morgen eine neue Routenplanung machen…
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