Anderstouren

Neufundland pur

Am Anfang sind wir Kilometer um Kilometer auf dem Trans Canada Highway, kurz TCH gefahren und hier gibt es vor allem eines: Wald rechts und Wald links. Je weiter wir jedoch durch dieses Land streifen, desto mehr verlieben wir uns in diese einsame Natur. Denn es gibt nicht nur Wald, da sind ausgedehnte Sumpfgebiete, karge Hochebenen, auf denen sich unzählige, namenlose Seen gebildet haben und weite Strände. Es gibt so viel zu entdecken, dass wir letztlich noch viel länger bleiben könnten als diese acht Tage.

Vor allem werden wir von diesem Land immer wieder überrascht. So sind wir einem Schild „Walking Trail“ gefolgt, ohne genau zu wissen, wo uns dieser kleine Pfad hinführen wird. Doch er bringt uns völlig unvermittelt in einen Zauberwald voller Farne, verschlungener Wurzeln und Schlingpflanzen, die von den Ästen auf uns herabhängen wie grüne Schleier. Eine mächtige Felswand voller Spalten erhebt sich zu unserer Rechten und in jede Ritze hat irgendeine Pflanze ihre Wurzeln gekrallt. Immer wieder tun sich dunkle Höhlen in dem Gestein auf: Das perfekte Versteck für einen Schwarzbären. Doch wir brauchen Patrices Tipps am Ende glücklicherweise nicht zu befolgen und bleiben auf diesen einsamen Pfaden durch die Wildnis allein.

Mit tiefen Wäldern, tief blauen Seen, weiten Ausblicken über das Meer und seinen schroffen Bergen behauptet der Gros Morne Nationalpark von sich, alles zu vereinen, was Neufundland ausmacht – Neufundland pur. Doch einer seiner Wanderpfade spuckt uns urplötzlich an einer Lagune mit weißem Sandstraße aus, in dessen Wassern sich eine ganze Kolonie Robben zu tummeln scheint. Unglaublich.

Mit dem Bouttes du Cap Park erreichen wir den südwestlichsten Zipfel Neufundlands, eine atemberaubende Steilküste, in der zahlreiche Seevögel brüten, wild schnatternd durch die Luft schwirren und sich dann im Sturzflug in das Wasser werfen, um einen dicken Fisch zu fangen. Auch die Wale scheinen dieses Cap zu schätzen. Denn immer wieder können wir ihre Fontänen über dem Meer aufsteigen sehen, bevor sie wieder in dessen Tiefen abtauchen. In diesem wundervollen Park darf man sein Lager aufschlagen und einfach bleiben. Keine Gebühren, keine Regeln. Man soll nur nicht von den Klippen stürzen. Das sollten wir hinkriegen und das lassen wir uns nicht zwei Mal sagen: Wir machen so gleich ein Lagerfeuer. Denn das gibt uns die Gelegenheit, endlich ein dunkles Brot mit Körnern und Walnüssen zu backen, um mal etwas anderes zum Frühstück zu haben als das ewige Toastbrot. Zudem grillen wir Garnelen und Gemüse und genießen einen herrlichen Sonnenuntergang über dem Meer.

In Rose Blanche finden wir eine ganz ähnliche Stimmung vor, als wir am Abend dort eintreffen. Es ist der letzte Ort, den man mit dem Auto erreichen kann, bevor sich die Südküste stark aufgliedert und die Fischerdörfchen nur noch mit dem Boot erreicht werden können. Doch auch hier bekommen wir bereits einen Eindruck von der Abgeschiedenenheit dieser Ansiedlungen und den rauen Bedingungen. Die kleinen Häuser krallen sich an den kargen Felsen der vielen kleinen Buchten fest und trotzen den langen Wintern und den Stürmen. Für mich ist das Neufundland, wie ich es mir vorgestellt habe. Und obwohl die Sonne scheint, ist es heute Abend bereits empfindlich kalt. Die kleinen Blättchen der Kriechweiden und Crowberry-Sträucher haben sich rot verfärbt – der Winter wird bald Einzug halten. Die Nacht wird eisig und wir frieren ganz schön in unserem Westy, der uns zwar treu durch dieses wilde Land gefahren, aber leider keine Heizung hat. Es wird also Zeit zu gehen. Die Saison ist vorbei, die meisten Läden und Restaurants haben längst geschlossen, die Schilder wurden abgebaut. Trotzdem fällt es uns schwer, zur Fähre zurückzufahren. Die karge Schönheit dieses Landes und seine blendend schöne Natur haben sich ganz heimlich in unser Herz geschlichen…

Bilanz Neufundlands: Tausende Seevögel, einige schräge Vögel, geschätzt 22 Robben, 7 Wikinger, 4 Wale, 3 Streifenhörchen, 1/2 Elch (hübsch zerlegt auf der Ladefläche eines Jeeps), 0 Schwarzbären 🙂


Entdecke mehr von Anderstouren

Subscribe to get the latest posts sent to your email.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.