„Willkommen auf der Canning“, rufe ich in das Funkgerät und Pia und Felix jubeln aus dem Landrover hinter uns. Dabei ist eigentlich gar nichts Spektakuläres passiert. Der rote Sand des Talawana Tracks ging einfach in den der Canning Stock Route über. Es geschah ganz heimlich, ohne viel Aufsehen. Ja, es gab noch nicht einmal ein richtiges Schild. Egal. Es ist trotzdem ein tolles Gefühl. Immerhin haben wir lange davon geträumt, auf der berühmtesten aller Offroadstrecken Australiens unterwegs zu sein und irgendwie kann man sich ihrem Bann nicht entziehen. Was ist denn nur los mit dieser Piste? Welche Magie ist hier am Werk?
Ich lasse meinen Blick über die sandige Fahrspur und dann über die Spinnifexbewachsenen Ebenen schweifen, aus dem ab und an ein Baum herausragt. Den Horizont begrenzen schroffe Felsen aus rötlichem Gestein und das Abendlicht taucht die ganze Szenerie in ihr warmes Licht. Es ist wunderschön hier draußen, keine Frage. Aber das allein ist es nicht. Es ist schlicht die Tatsache, dass diese Piste durch das einsamste und von jeder Zivilisation am weitesten entfernte Gebiet Australiens führt. Newman liegt inzwischen knapp 500 Kilometer hinter uns und nach Wiluna im Süden sind es über 600 Kilometer und dort steppt bekanntlich auch nicht gerade der Bär. Wir fahren ohnehin gen Norden und dort erwartet uns nur ein Roadhouse in der Aborigine Gemeinde Kunawarritji. Unwillkürlich fühlen wir uns um mehr als ein Jahrhundert in der Zeit zurückversetzt, als in Australien der große Goldrausch einsetze…
Ende des 19. Jahrhunderts schossen Ortschaften wie Pilze aus dem staubigen Boden des entlegenen Outbacks Western Australias. Immer, wenn irgendwo Gold gefunden wurde, bildete sich dort binnen weniger Monate eine Ansiedlung mit Geschäften, Hotels und Bars. In den Städten der Goldgräber gab es eigentlich alles, was die Menschen zum Leben brauchten. Nur Fleisch war nahezu gar nicht, oder nur zu Höchstpreisen zu bekommen. Es gab einfach keine Möglichkeit, die Viecher aus den 1500 Kilometer entfernten Kimberleys einmal quer durch das Outback zu treiben, ohne dass sie dabei zu Grunde gingen. Deswegen wurde Alfred Canning 1906 ausgesandt, um einen Weg zu schaffen, über den die Rinder in das Gebiet der Goldfields gelangen konnten. Fünf Jahre benötigte er, um die heutige Canning Stock Route zu erkunden und entlang der Strecke über 50 Brunnen anzulegen, damit die Viecher etwa alle 30 Kilometer getränkt werden konnten. Vierzig Jahrelang wurde die Strecke danach genutzt und es wurden mit unter Herden mit 500 Tieren in den Süden getrieben. Was es bedeutet, die alle zu tränken, weiß man wohl erst, wenn man einmal selbst einen Eimer aus den bis zum 30 Meter tiefen Brunnen zu Tage gefördert hat. Was die Viehtreiber damals in schweißtreibender Arbeit erledigten, übernehmen heute natürlich die Roadtrains. Aber die Piste und zum Teil auch die Brunnen sind erhalten geblieben. Alfred Canning sei Dank!
Der Canning Stock Route eilt jedoch nicht nur ein großer Name voraus, dieser Track ist tatsächlich in vielerlei Hinsicht einzigartig. Die Landschaft, durch die wir am nächsten Tag fahren, ist extrem abwechslungsreich und macht die Canning zur schönsten Piste dieser Reise. Wir queren steinige Plateaus, die von roten Felsen eingerahmt werden. Dann fahren wir wieder über unendlich weite Ebenen, auf denen das Spinnifex regiert, aber auch üppige grüne Büsche mit gelben Blüten gedeihen. Im nächsten Moment spuckt uns der Track wieder in einer Dünenlandschaft mit ihrem leuchtend roten Sand aus und dann taucht genauso unvermittelt ein See auf, in dem ein Dingo badet. Als das Tier unsere beiden Autos bemerkt, trottet es ans Ufer, schüttelt sich und läuft dann eilig davon.
„Mondlandschaft mit Kratern“, ruft Pias Stimme aus dem Funkgerät. Das vordere Fahrzeug hat genug Gelegenheit, das hintere auf Gefahren aufmerksam zu machen, denn die Canning ist verdammt anspruchsvoll. Uns erwarten Dünenquerungen, Tiefsandpassagen und Wellblech. Außerdem ist der Track immer wieder komplett zugewachsen. Zwischen den beiden Reifenspuren steht das Spinnifex mit unter einen Meter hoch. Büsche und Bäume ragen über den Weg und ritzen quietschend ihren Gruß in unseren Lack, wenn wir uns mit Allaq hindurch zwängen. Tiefe Auswaschungen haben die Piste schwer gezeichnet, sodass wir jederzeit mit einem tiefen Loch, oder einer fiesen Schräglage rechnen müssen. Manchmal ist die Straße auch einfach komplett weggespült und unsere Vorgänger waren gezwungen, abenteuerliche Umfahrungen quer durch das Spinnifex zu schaffen, die zum Teil so sehr divergieren, dass wir kaum noch zum eigentlichen Track zurückfinden. Sandwellen lassen das Auto hüpfen wie ein Känguru und ein paar schlammige Pfützen warten auch noch auf uns. Dadurch kommen wir nur langsam, sehr langsam voran.
Zudem wird es heute heiß, richtig heiß. Das Thermometer klettert auf 42 Grad und die drückende Feuchtigkeit, die hier immer noch in der Luft hängt, bringt uns um den Verstand. Von den Millionen Fliegen reden wir schon gar nicht mehr, die unsere Köpfe umschwirren und uns mit ihrem ewigen Summen in den Wahnsinn treiben. Erschöpft und vom Track gebeutelt erreichen wir Well 26, einen der Brunnen auf der Canning Stock, in dem es noch Wasser gibt. Christian lässt den archaischen Blecheimer sogleich in die Tiefe und fördert dann auch wirklich Wasser zu Tage. Der alte Eimer hat zwar ein Loch, doch es reicht, um unsere Wasservorräte aufzufüllen und uns den Schweiß abzuwaschen. Völlig überhitzt tauchen die Jungs gleich den Kopf in den Eimer und Pia macht ihr T-shirt nass. Auch ich hätte gerne etwas Erfrischung und Christian meint es dann etwas zu gut mit mir, als er den Eimer einmal komplett über meinem Kleid entleert. Ich quieke zur Freude der anderen wie verrückt und schaue etwas fassungslos an meinem klitschnassen Kleid hinunter. Doch bei der Hitze ist es bereits kurze Zeit später schon wieder trocken, wir sind aufs Neue verschwitzt und staubig und fühlen uns tatsächlich wie die Viehtreiber aus längst vergangenen Zeiten.
Allerdings hatten diese mit Sicherheit nicht zwei Schweizer und eine komplett ausgestattete Gourmetküche dabei. Felix überrascht uns mit seiner Expressomaschine, eine seiner drei (!) Kaffeemaschinen, die er in seinem Offroadmobil spazieren fährt und mit der er einen ganz hervorragenden Expresso macht. Pia bringt uns morgens selbst gebackenes Brot, das sie am Abend zuvor in ihren Backofen (!) geschoben hat. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, wie köstlich dieses Brot geschmeckt hat und zwar nicht nur, weil es das erste richtige Brot seit zwei Monaten war. Beim gemeinsamen Grillen stehen mehrere Sorten Fleisch zur Auswahl, drei verschiedene Salate und ein Sortiment gekühlter Getränke auf dem Tisch, auf das jede Minibar neidisch wäre. Außerdem haben die beiden eine Yogamatte und ein aufblasbares Sofa dabei und es würde mich auch nicht mehr wundern, wenn sie einen Swimmingpool aus der hinteren Klappe des Landys ziehen würden.
Mit ihrem Raclettgrill, den sie aus den Untiefen ihres Autos hervor zaubern, schiessen sie aber wirklich den Vogel ab und es gibt Schweizer Raclett mitten auf der Canning. Ein leuchtender Vollmond taucht unsere reich gedeckte Tafel in sein fahles Licht und Fledermäuse mit einer Spannweite von 30cm umschwirren das Lager. Es gibt gebratenes Gemüse, Rindermedaillons, Pilze, kleine Kartoffeln, Tasmanischen Pfeffer und gebratenen Speck. Ein Festessen, das 600 Kilometer von jeder Zivilisation entfernt, besonders köstlich ist. Im Kerzenschein blubbert bald darauf Käse in den Pfännchen und wir stoßen mit Rotwein an: „Auf Alfred Canning, das alte Haus und alle Schweizer, die gerne essen!“ 😉
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Mama und ich haben Tränen gelacht beim Lesen. 🙂 Super geschrieben!
Beim überlegten und langjährigen Ausbau und Einräumen des Landi wundert mich nix. Habt ihr gut gemacht Schwesterchen und Felix!
Das habt ihr euch aber auch verdient nach den Strapazen. Sieht sensationell aus.
Veröffentlichst Du den Bericht eugentlich anschließend? Der Bericht ist schon sehr mitreißend. Ich freue mich schon auf die nächsten Berichte.
Tolles Essen 😀