Anderstouren

Die Flucht vor Trevor

Eine Fahrspur zieht sich durch den roten Sand und bringt uns ins totale Nichts. Hier draußen gibt es lediglich eine Station. Das sind riesige Rinderfarmen, die Gebiete bewirtschaften, die größer sind als so manches Land in Europa. Ab und zu sehen wir die Rindviecher, die in der Gluthitze Schatten unter einigen Büschen suchen. Heute ist es noch heißer als gestern und bereits um 10 Uhr hatte das Thermometer die 40 erreicht und mittlerweile längst überschritten. Aber wir sind bestens vorbereitet und guter Dinge.

Im Pink Roadhouse haben wir unsere Wasservorräte noch einmal aufgefüllt, 180 Liter Diesel sind an Bord und die Sandflagge liegt griffbereit im Alkoven. Eine solche Flagge braucht man, um bei der Überwindung von Dünenkämmen auf einer einspurigen Piste von entgegenkommenden Fahrzeugen rechtzeitig gesehen zu werden und sie ist für eine Querung der Simpson Desert vorgeschrieben. Die orange Flagge mit dem weißen Kreuz haben wir bereits in Perth gekauft und sie wartet seither auf ihren Einsatz. Die Aussies schrauben sie einfach an die Bullbar. Doch da wir kein solches Schutzgitter vor dem Kühlergrill haben, müssen wir sie irgendwie auf dem Dach anbringen und Christian hat dafür zu Hause extra einen Halter gefräst. Heute wird es nun soweit sein! Wir haben den Lake Eyre und die Überschwemmung im Osten umfahren und können nun endlich von Westen in die Simpson Desert einfahren.

Am babyblauen Himmel ziehen unschuldige, flauschige Schäfchenwolken und lächeln auf uns herab, als wir Mount Dare erreichen, das einzige Roadhouse im Umkreis von 300 Kilometern. Dave, der hier die Stellung hält, kennen wir bereits von unserem letzten Besuch vor vier Jahren. Er hat von den Pisten hier draußen richtig Ahnung und man fährt nicht in die Simpson Desert, ohne zuvor noch einmal die neuesten Infos und vor allem seine Meinung einzuholen.

Die Deckendekoration aus Stubby Coolern im Roadhouse Mount Dare

Das urige Roadhouse schmückt sich mit hunderten von „Stubby Coolern“, eigentlich unsinnigen Plastikteilen, die man über eine Bierflasche ziehen kann, damit sie in der Affenhitze einen Moment länger kühl bleibt. Die bunten Stubby Cooler sind an Schnüren aufgehängt und baumeln wie Girlanden unter der Decke der Gaststube. Dave steht hinter dem Tresen und berät mit ernster Miene zwei junge Männer, die ebenfalls in die Wüste und auf die sogenannte „French Line“ wollen. Ich lausche seinen Worten eine Weile und kann kaum glauben, was ich da zu hören bekomme: Zwei Zyklone jagen zur Zeit über das Land und einer der beiden befindet sich auf dem direkten Weg hierher. Der Wirbelsturm bringt nicht nur heftigen Wind, sondern auch Wasser, viel Wasser. An einem Tag soll die gesamte Jahresmenge Regen auf das trockene Land herab rauschen und hier alles binnen weniger Stunden in eine undurchdringliche Schlammwüste verwandeln. Das darf doch nicht wahr sein. Was ist denn nur mit dem Australischen Wetter los? Erst die Hitzewelle, dann die Überschwemmung, Buschbrände und jetzt der Zyklon. Irgendwie sollen wir nicht in die Simpson Desert fahren. Von Osten ist die Zufahrt durch die Flutwelle in Birdsville gesperrt und nun soll auch noch der westliche Zugang in einem Unwetter untergehen? Haben wir irgendetwas falsch gemacht und den Groll des himmlischen Wettergremiums auf uns gezogen?

„Ihr könnt nicht in die Simpson Desert fahren“, meint Dave und wiederholt sich. Die jungen Männer beharren nämlich auf ihrem Vorhaben und scheinen ziemlich beratungsresistent zu sein. Dave gibt nicht auf und redet mit väterlicher Fürsorge weiter auf die beiden ein wie auf einen lahmen Gaul: „Übermorgen kommt Regen, soviel ist klar. Dann steckt ihr im Schlamm fest, bis zur Achse. Niemand kann dann noch zu Euch vordringen und ihr hängt Tage, vielleicht Wochen da draußen fest. So eine Bergung kostet außerdem tausende von Dollar. Ist Euch das eigentlich klar?“ „Wir fahren in die Simpson Desert und bis nach Birdsville“, ist die Antwort. Wie kann man nur so stur sein? Den beiden ist nicht zu helfen. Aber für mich ist die Sache klar. Ich habe nämlich absolut keine Lust, schlammverklebt auf der letzten Düne zu stehen, die noch aus den Fluten ragt und auf Hilfe wartend unsere Sandflagge zu schwenken. Also bleibt uns nur die Flucht.

Dave lächelt mich erleichtert an, als ich mich einsichtiger als meine Vorredner zeige und ihm unseren Plan B mitteile: Wir werden uns jetzt schon auf den Binns Track begeben, der uns nach Alice Springs bringen wird und damit in eine Stadt, in der man ein solches Unwetter einfach aussitzen und dann neue Pläne schmieden kann. „Wenn ihr die Beine in die Hand nehmt, dann schafft ihr das noch!“ meint Dave und nickt mir zu. „Aber ihr müsst jetzt gleich los. Verliert keine Zeit. Bis Alice sind es 420 Kilometer und ihr müsst morgen Abend dort sein. Übermorgen ist der Sturm hier und wenn Euch das Wetter da draußen erwischt, seid ihr verloren.“ Klare Worte. Aber was bleibt uns anderes übrig? Wir befinden uns nun einmal mitten im Nichts, über das Trevor, so heißt der Wirbelsturm, hereinbricht. Unser Fluchtplan ist sicherlich besser, als die hirnrissige Idee trotz aller Warnungen auf die French Line zu fahren. Also ins Auto und nichts wie los.

Der Binns Track ist herrlich. Eine einsame Reifenspur zieht sich zunächst über baumbestandene Ebenen, auf denen Rinder grasen. Die Viecher bleiben immer wieder mitten auf dem Weg stehen und sind nicht dazu zu bewegen, an die Seite zu gehen. Dann passieren wir das ausgetrocknete und ziemlich sandige Flussbett des Finke River und werden danach in einer Dünenlandschaft ausgespuckt. Die Piste zieht sich zwischen zwei roten, beeindruckend hohen Dünen gen Norden und dabei durchqueren wir sie doch: Die Simpson Desert. Man muss nämlich nicht unbedingt die berühmt-berüchtige French Line fahren, um mit dieser Wüste in Berührung zu kommen.

Der rote Sand ist mit grünen Büscheln bewachsen und die Abendsonne bringt die Dünen zum Leuchten. Wieder einmal faszinieren uns die Farben der Wüste und als der Track einen der Dünenkämme erklimmt, bleiben wir einfach am Straßenrand stehen. Wir bauen unser Lager auf und ich koche, während uns hunderte von Fliegen umschwirren. Außerdem sind es immer noch 44 Grad. Im Auto ist alles glühend heiß: Die Bettwäsche, die Kleidung, das Mineralwasser. Alles hat so viel Hitze gespeichert, dass man sich wie in einem Backofen fühlt. Am Metall des Bettes kann man sich die Finger verbrennen und aus unserer „Kaltwasserdusche“ kommt derart heißes Wasser, dass ich im ersten Moment erschrocken zurückspringe. Aber so ist sie nun einmal, die Simpson Desert.

Dafür dürfen wir in dieser Nacht den intensivsten und schönsten Sternenhimmel erleben, den ich je gesehen habe. Die Fliegen schlafen, wir sitzen in den Stühlen und schauen zum dunklen Firmament hinauf, an dem unzählig viele Sterne funkeln: Der Orion steht Kopf und die Nebel der Milchstraße sind deutlich zu erkennen. Während ich so nach oben schaue, habe ich das Gefühl direkt in die Unendlichkeit des Universums zu blicken. Wie weit diese Sterne wohl von uns entfernt sind? Vielleicht ist der ein oder andere von ihnen längst erloschen und wir sehen nur noch sein letztes Licht. Kaum zu glauben, dass dieser klare Himmel bald von dunklen Wolken überzogen werden soll, die den Jeepfahrer mit ihrer Fracht in Gefahr, aber dem ausgedorrten Land natürlich endlich den langersehnten Regen bringen.

Irgendwann geht dann der Mond über den Dünen auf und übernimmt die Herrschaft am Nachthimmel. Die Sterne verblassen und auch wir müssen schlafen gehen. Eine Herde Rinder zieht in der Dunkelheit vorbei und wir hören ihre Hufe im Sand knirschen, während wir die Stühle forträumen. Über unser Satellitenhandy erreichen uns Warnungen aus der Heimat: Trevor ist nicht mehr fern. Deswegen werden wir unseren Weg morgen schleunigst nach Alice Springs fortsetzen. Aber dieser wahnsinnige Sternenhimmel und die nächtliche Atmosphäre in der Simpson Desert waren es wert, einen Moment inne zu halten.

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